Im Land des Herrn | 74. Jahrgang | 2020 - 1

IM LAND DES HERRN 30 1/2020 frei. Eine machiavellische Lösung wurde aus- geheckt, nämlich die Hafenstadt Zara (heute Zadar) dem König Emmerich von Ungarn zu entreißen und sie Venedig zu übergeben. Der Doge Enrico befand sich plötzlich vor der unerwarteten Entscheidung, in Konstantinopel einzufallen. Ohne lange nachzudenken, führte er selbst – fast blind und als 70-Jähriger – die Truppen von Zara bis zum Goldenen Horn. Dem historischen Gedächtnis der östlichen Christen- heit ist dieses Ereignis bis heute als „der Verrat Venedigs“ eingeprägt. Die Kreuzfahrer eroberten, plünderten und zer- störten Konstantinopel. Das Lateinische Kaiser- reich wurde errichtet und die Ägäischen Inseln wurden unter Venedig aufgeteilt. Als Enrico Dandolo starb, wurde er in der Hagia Sophia begraben. Die Kreuzfahrer erreichten nie Ägypten, da es für Venedig besser war, dass sie auf griechischem Boden blieben anstatt die Handelsabkommen mit den Muslimen zu gefährden. Zwölf Jahre später rief Papst Innozenz III. einen neuen Kreuzzug aus. Er starb aber 1216. Der fünfte Kreuzzug wurde dann von seinem Nach- folger Papst Honorius III. ausgeführt. Der histo- rische Ablauf ist gut bekannt; hier ist nur wich- tig zu erwähnen, dass die Kreuzfahrer 1217 mit eigenen Mitteln aus den verschiedenen Ländern wie Ungarn, Österreich, Frankreich, Italien ins Heiligen Land eingedrungen sind. Sie hatten aber keinen großen Erfolg, daher wandten sie sich nach Ägypten; sie waren der Meinung, sei- ne Eroberung würde den Zugang zu Jerusalem eröffnen. So kamen sie 1218 bis ans Nildelta und belagerten die Stadt Damiette. Genau in dieser Zeit starb al-‘Ādil und al-Kāmil wurde Sultan kraft seines Amtes. Dann folgten die bekannten Ereignisse: Der jun- ge Sultan stiftete großen Schaden an. Es gab Tau- sende von Toten unter den christlichen Truppen. Am 29. August 1219 wurde ein Waffenstillstand geschlossen, der bis zum 26. September dau- erte. Während dieses Waffenstillstands fand die Begegnung des heiligen Franziskus mit Sultan Malik al-Kāmil statt. Ohne diese Begegnung wäre der fünfte Kreuzzug als eines der größten Desas- ter des christlichen Westens in die Geschichte eingegangen. Dabei zeigte sich Europa zugleich als zerstritten; die Herrscher verfolgten ihre eigenen Interessen, dachten nur an sich selbst und an den eigenen Ruhm anstatt daran, die Heiligen Stätten zu befreien. Damiette wurde am 5. November dieses Jah- res dann von den Kreuzfahrern eingenommen. Malik al-Kāmil bot den Kreuzfahrern im Aus- tausch für Damiette Jerusalem und die Reliquie des Heiligen Kreuzes an, die er aber eigent- lich gar nicht hatte. Die Kreuzfahrer lehnten ab, stattdessen zogen sie mit aller Wucht nach Damiette  © Revista „Tierra Santa“

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