Im Land des Herrn | 74. Jahrgang | 2020 - 1
IM LAND DES HERRN 32 1/2020 Dank der Einstel lung seines Vaters wuchs al-Kāmil in einer Gesellschaft auf, in der Juden und Christen respektiert waren, ihre eigenen kulturellen und religiösen Sitten und Gebräu- chen beibehalten durften und sogar öffentli- che Ämter bekleideten. Die orientalischen und orthodoxen Christen (Melkiten, Armenier, Geor- gier, Syrer, Äthiopier, Kopten oder Griechen) fühlten sich eigentlich in der Mehrheit als Teil ihres Staates und fürchteten die Ankunft der Kreuzfahrer, vor allem in Damiette. Aufgrund des Dargelegten kann man sagen, dass al-Kāmil ein guter Monarch war, der eine gute Finanzverwal- tung geschaf- fen, Ordnung und s oz i a l en Fr i eden her- ge s t e l l t und d i e E i n h e i t de r Bevö l ke - rung trotz den e t h n i s c h e n und religiösen Vers chi eden- h e i t e n a u f - rechterhalten hat. Außerdem wehrte er zwei I n v a s i o n e n erfolgreich ab und hinterließ seinen Söhnen ein vergrößertes Königsreich. Es ist zu betonen, dass seine Politik immer pazi- fistisch und offen für Dialog und Begegnung war. Man darf davon ausgehen, dass hauptsächlich ihm das Gelingen der Begegnung mit Franziskus zu verdanken ist. Al-Kāmil und die ägyptischen Christen Al-Kāmil genoss wegen seiner Toleranz und Gerechtigkeit einen guten Ruf bei den christli- chen Kopten in Ägypten; er hörte ihren Sorgen und Nöte an und war ein gerechter Richter. Die koptischen Chroniken aus dieser Zeit bezeugen diese Eigenschaften; darin wird gesagt, dass er über die inneren Angelegenheiten der Christen sehr gut informiert war und dass er auch ihre eigenen Entscheidungen respektierte. Die Kopten waren und sind bis heute die urchrist- liche Bevölkerung Ägyptens. Sie verstehen sich selbst als nationale Kirche Ägyptens, die nach der Tradition vom heiligen Markus gegründet wurde. Sie verfügen über eine enorm reiche jüdisch- alexandrinische Tradition mit pharaonischen, monarchischen, auch gnostischen Elementen. Nach Meinung v i e l e r F o r - scher bildeten d i e K o p t e n b i s s p ä t i n s 14 . Jahrhun- dert hinein die Mehrheit der Bevö l ke rung Ägyptens. Zur Zeit al-Kāmils s t e l l t e n s i e a u c h d i e Meh r he i t i n O b e r ä g y p - ten. Es waren darunter ein- fache Bauern, Händler, Handwerker, aber auch Beamte, die dawāwīn (eine Art Schreibkräfte) in verschie- denen öffentlichen Ämtern, vor allem beim Finanzamt (Dīwān al-māl) oder beim Heer (Dīwān al-ŷayš) . Der Kopte Sima’an ibn Kalil ibn Maqarah diente als hochrangiger dīwān direkt unter Saladin. Viele von diesen „dawāwīn“ waren nicht nur Angestellte des Sultans, sondern auch dessen Emire. Diese Periode war für die koptische Gemeinde sehr vorteilhaft und gilt als das „Goldene Zeit- alter“ der koptisch-arabischen Literatur. Die literarische Produktion der Christen nahm in allen Bereichen zu: im Zivilrecht, in der Theolo- Franziskus und Sultan, Kreuzgang von S. Maria la Nova, Neapel. © Petrus Schüler
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