Im Land des Herrn | 74. Jahrgang | 2020 - 1
IM LAND DES HERRN 6 1/2020 als „Rüsttag“, verstanden werden. Der Evangelist Markus fügt entsprechend hinzu (15,42): „das ist prosabbaton “, also „Vor-(Tag vor dem) Sabbat“, und Lukas schreibt (23,54): „kurz bevor der Sab- bat anbrach“. Manche Ausleger versuchen, den Widerspruch zwischen den Evangelien mit der Annahme zu lösen, Johannes meine mit „Vorbereitung“ nicht die Vorbereitung auf den Sabbat, sondern die auf das Pascha-Fest, also keinen bestimmten Wochentag. Dafür spricht der Ausdruck in Joh 19,14: paraskeué tu Pascha , „Vorbereitung des Pascha“. Freilich, für 19,31, „dieser Sabbat war nämlich ein großer Feiertag“, muss man zur etwas weit hergeholten Deutung greifen, dass „Sabbat“ hier nicht Samstag bedeute, sondern allgemein „Festtag“, eine Bezeichnung, die im Judentum nicht üblich ist. Eine verbreitete Lösung für die unterschiedli- chen Daten ist die: Das Johannesevangelium ist reich an theologischen Aussagen (die orthodoxe Tradition nennt den Evangelisten Johannes den „Theologen Johannes“), die oft in Symbolen aus- gedrückt sind. Daher habe Johannes die Todes- stunde Jesu auf den Zeitpunkt „verlegt“, zu dem im Tempel die Pascha-Lämmer geschlachtet wurden. Diese Meinung war bei den Bibelwis- senschaftlern des vergangenen Jahrhunderts sehr weit verbreitet, zumal bei einem Tod Jesu vor dem Beginn des Pascha-Festes das Letzte Abendmahl kein Paschamahl (zu Beginn, also nach unserem Empfinden am Vorabend des Festes) sein kann. Inzwischen ist man vorsichti- ger, zumal der Evangelist Johannes, gleichwohl das jüngste der Evangelien, Detailkenntnisse von Jerusalem zur Zeit Jesu zeigt. Eine weitere Hypothese besagt, die Evangelien folgten verschiedenen Kalendern, einerseits dem pharisäischen, andererseits dem sadduzäischen oder dem der Essener. Moderne Mitteleuropäer wundern sich vielleicht darüber, dass ein Fest nach zweierlei Kalendern, also an zwei verschie- denen Tagen gefeiert worden sein soll. Wer aber heute um Ostern oder umWeihnachten das Hei- lige Land besucht, wird feststellen, dass Christen verschiedener Konfessionen diese Feste auch in der Gegenwart problemlos an unterschiedlichen Tagen feiern. Mit dieser Erklärung mag es eventuell gelingen, die Angaben in den Evangelien in Einklang zu bringen. Um aus dem Datum auf ein bestimm- tes Jahr zu schließen, hilft sie aber nicht weiter. Über Unterschiede zwischen sadduzäischem und pharisäischem Kalender wissen wir so gut wie nichts, nicht einmal, ob sie sich tatsächlich unterschieden. Der essenische Kalender ver- hieß nach der Entdeckung der Qumranschrif- ten (seit 1947) eher eine Lösung. Die französi- sche Exegetin Annie Jaubert schlug 1957 diese Lösung vor; der Benediktiner Bargil Pixner von der Dormitio-Abtei in Jerusalem griff sie auf und verfeinerte sie. Aber auch hier bleibt das Problem: Wir wissen zwar relativ viel über den essenischen Kalender, aber einige Details blei- ben ungeklärt, so dass man auch hier an Gren- Kreuzigung mit Maria und Johannes (dem „Theologen“), Spinges in Südtirol. © Petrus Schüler
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