Im Land des Herrn | 74. Jahrgang | 2020 - 1
1/2020 9 Der jüdische Kalender zur Zeit Jesu Solange der Tempel in Jerusalem stand (bis zur Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr.), wurde in Jerusalem beobachtet , wann die schmale Sichel des neuen Mondes („Neulicht“ genannt) zum ersten Mal am westlichen Himmel kurz nach Sonnenuntergang sichtbar war. Dann begann der neue Monat. Wenn dagegen der Mond aufgrund vonWolken, Dunst oder Wüsten staub nicht sichtbar wurde, begann man den neuen Monat nach dem 30. Tag des Vormonats. Das Neulicht ist sehr kompliziert zu berech- nen. Unter „Neumond“ versteht die moderne Astronomie die „Kon- j u n k t u r “ z w i s c h e n Sonne und Mond, das he i ßt , Sonne , Mond und Erde s tehen i n einer Linie, der (nicht sichtbare) Mond zieht, von der Erde aus gese- hen , vo r de r S onne vorbei. Meist tut er das etwas nach oben oder unten versetzt; stehen die drei Gestirne tat- sächlich in einer Linie, gibt es eine Sonnen- finsternis. Das Neulicht t r i t t spä ter auf . Di e Zeitspanne zwischen Neumond und Neulicht ist, je nach Standort und Jahreszeit sehr unter- schiedlich, zwischen 16 und 69 Stunden (fast drei Tage!). Moderne Technik erlaubt es zwar, diese Zeitspanne für einen bestimmten Ort rela- tiv genau zu berechnen. Ob dann aber der Him- mel tatsächlich klar und der Mond sichtbar ist, ist damit natürlich nicht gesagt. Ja, es ist sogar möglich und überliefert, dass der Mond schon vor dem berechneten Datum gesehen wurde, entweder weil es besonders klar war oder weil man den Mond von einem Punkt aus beobachte- te, von dem aus der westliche Horizont tiefer lag (so auf den Hügeln westlich von Jerusalem, z. B. in Emmaus-Qubeibeh). Der Schaltmonat wurde zur Zeit des jüdischen Tempels so festgelegt: Zum Pesach-Fest gehör- te die Darbringung der ersten reifen Gerste (die Getreideernte beginnt im Heiligen Land meh- rere Monate früher als in Mitteleuropa). War am Anfang eines Monats absehbar, dass die Gerste zur Monatsmitte noch nicht reif sein würde, erklärte man diesen Monat zum Schaltmo- nat; Nisan, der Pesach- Monat, war dann einen Monat später. Das Todesjahr Jesu Es ist also nicht kor- rekt , für die Bestim- mung des Todes j ah- res Jesu einfach den mittelalterlichen und modernen jüdischen Ka l ender zurückzu- r e c hn e n . Tro t z d em wurden s o l che Ve r- suche unternommen, mit ganz unterschied- lichen Ergebnissen (sie reichen vom Jahr 27 bis 36), so schon die Kirchenväter Tertullian und Hyppolyt (beide Anfang des 3. Jh.) – sie kamen auf das Jahr 29 – oder der spanische Bischof Paul von Burgos (1353–1435), ein konvertierter Jude. Er kam zu dem Ergebnis, Jesus sei am Samstag (also nach der Zeitangabe des Johannes), den 4. April 33, gekreuzigt worden – eine Kreuzigung am Freitag (Synoptiker) kommt ja nach dem oben Gesagten nicht in Frage. Die modernen Wissenschaftler sehen in der Regel das Problem, dass wir nicht wissen, ob Todesjahr Jesu Todesjahr Jesu Haggadah („Pessach-Anleitung“), Süddeutschland Anfang 15. Jahrhundert, Israel-Museum Jerusalem. © Petrus Schüler
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