Im Land des Herrn | 74. Jahrgang | 2020 - 2

2/2020 15 dung. Ohne sie könnten wir nichts, aber auch gar nichts tun. Dieses Geld ist für die Bibliothek lebensnotwendig. Angesichts dieser vielen Probleme fühlt sich Bruder Lionel manchmal etwas entmutigt. „Die Leitung der Kustodial-Bibliothek ist ein sehr wichtiger Posten, doch unserer Arbeit fehlt die Sichtbarkeit. Was wir tun, geschieht im Hinter- grund, innerhalb der Mauern der Bibliothek. Außer was die Abteilung der historischen Archi- ve betrifft, hat die Bibliothek wenige Kontakte o de r d i rek te Beziehungen zu den ande- ren Diensten der Kustodie. Di e s e Aufga - be hat darum e i n e a n g e - nehme Seite, aber sie macht auch manch- mal einsam.“ Bruder Lionel z ä h l t s e i n e Stunden nicht. Er hat in den letzten 15 Jah- r e n k e i n e n einzigen Tag Urlaub gemacht. „Das ist bei dieser Arbeit unmöglich. Ich kann nicht einfach gehen und meinen Platz allein lassen“, erklärt er mit einem Lächeln. Eine Bibliothek, offen zurWelt Ohne zu klagen – das ihm zu unterstellen, hie- ße, ihn schlecht zu kennen – will er eher die Aufmerksamkeit eines jeden Besuchers auf die Schönheit der Handschriften lenken als sich mit den Touristen und Volontären zu unterhal- ten. „Unsere Bibliothek ist die älteste von Israel, sie besteht seit über 800 Jahren. Ich wünschte mir, dass die Leute sich bewusst sind, dass die- ses Erbe ein echter Schatz ist“, fügt er hinzu. Er wünschte sich vor allem, dass der Ort auch eine soziale Dimension erhalten würde und dass er auch der zivilen Gesellschaft mehr geöffnet wäre. Neulich hat Bruder Lionel eine Partnerschaft mit einer Gruppe von Studenten aus Damaskus gegründet. Für einige hundert Dollar haben sie Bücher der Kustodial-Bibliothek und der Biblio­ thek des „Studium Biblicum Franciscanum“ katalogisiert. „Ein solcher Austausch ist für beide Seiten gut. Er ist ein konkretes Mittel, etwas für die zivile Gesellschaft zu tun!“, sagt er mit gro- ß em En t hu ­ siasmus. S o a n s t r e n - gend die Auf- gabe von Bru- der Lionel für ihn auch ist , e r würde s i e für nichts in der Welt her- g e b e n w o l - l en . Er kann e s s i ch auch nicht versagen, d a s We r k z u erwähnen, das i hm b e s o n - ders am Her- zen liegt: Es ist eine Sammlung von vier kost- baren Handschriften, die in der Kreuzfahrerzeit der Herzog von Gloucester den Franziskanern des Heiligen Landes vermacht hatte mit dem Auftrag, einmal für seine Seelenruhe zu beten. „Diese Manuskripte enthalten zahlreiche golden gemalte Miniaturen, wirklich wunderbare Dar- stellungen von verschiedenen Heiligen. Wahr- lich, herrlicheWunderwerke!“ Bruder Lionel liebt diese Arbeit leidenschaft- lich, die gewöhnlich den Blicken des Publikums entzogen ist. Und der Respekt, mit dem er die Blätter eines alten syrischen Manuskriptes wen- det, bevor er es wieder in das Regal zurückstellt, verrät viel über die Liebe des Chefs zu seiner Bibliothek. Einer der ältesten Handschriften der Bibliothek.  © Custodia Kustodial-Bibliothek Kustodial-Bibliothek

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