Im Land des Herrn | 74. Jahrgang | 2020 - 2

2/2020 27 „Die Krise lenkt meine Aufmerksamkeit auf das, was wesentlich ist.“ Interview mit dem Lateinischen Patriarchen Pierbattista Pizzaballa Marie-Armelle Beaulieu ie sieht die christliche Gemeinschaft Ihrer Diözese die aktuelle Situation? Bei uns gibt es vier verschiedene Situa­ tionen: die in Jordanien, in Israel, in Palästi- na und die auf Zypern; denn auf diese Länder erstreckt sich unsere Diözese Jerusalem. Jeru- salem ist in gewisser Weise ein Fall für sich. Die Beschränkungen sind von einem Ort zum ande- ren verschieden. Die Menschen sind im Allge- meinen in Angst und Unruhe. Aber die Angst bezieht sich mehr auf die Änderung der gesell- schaftlichen Verhältnisse als auf die Krankheit selbst, da hier – verglichen mit anderen Län- dern – die Zahl der Infektionen gering ist. Aber die Verhältnisse sind für die Gläubigen völlig neu. Hier haben wir Kriege und Intifada ken- nengelernt... aber die Kirchen blieben offen; man konnte sich frei bewegen, zumindest mehr oder weniger. Die Angst bezieht sich jetzt eher auf die Ungewissheit: Wie lange wird es dauern, wann und wie wird man wieder zur Normalität zurückkehren? Es ist die Unsicherheit bezüg- lich der wirtschaftlichen Folgen. Israel befindet sich in einer relativ guten Lage; denn der Staat gewährleistet gewisse Garantien durch soziale Absicherungen, während in Palästina und Jor- danien die Lage sehr problematisch ist. Jeder weiß, dass wir uns, wenn die sanitäre Krise zu Ende ist, wenn die Einschränkungen nicht mehr bestehen, nicht mehr in der gleichen Situation wiederfinden werden. Die Sorgen sind sehr konkret. Was ich ebenso sehe, ist eine gewisse Nostalgie in unseren Gemeinden. Man schätzt das neu, was man vorher hatte und nun verloren hat. Plötzlich wurden alle Aktivitäten, alle Liturgien eingestellt und alles, woran man sich zur Teil- nahme verpflichtet sah und zu unserem Leben gehörte, fehlt nun. Ich denke, das ist etwas Positives. Haben die Priester Mittel gefunden, um mit ihren Gläubigen in Verbindung zu bleiben und diese Nostalgie der Gemeinden zu begleiten? Die Priester teilen diese Nostalgie. Ein Pfarrer ohne Gemeinde ist kein Pfarrer. Die Verhält­ nisse sind sehr verschieden. Aber ich bewun- derte besonders die Erfindungsgabe, die sich W

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