Im Land des Herrn | 74. Jahrgang | 2020 - 2
2/2020 31 Aber die Kirche von Jerusalem – ich verstehe darunter alle unsere Einrichtungen – muss darauf bedacht sein, sich so zu organisieren, dass sie soweit wie möglich selbstständig wird. Das bedeutet eine Änderung der Mentalität, das ist sehr notwendig. Während der Krise begin- nen viele Hilfen der ersten Dringlichkeiten sich zu organisieren. Es gibt Appelle, die nach außen gerichtet sind, aber ich sage, dass wir damit beginnen müssen, auch Appelle nach innen zu richten. Wir müssen lernen, uns gegenseitig zu helfen. Es gibt bereits Pfarreien im Norden, die Pfarreien im Süden helfen. Sich auf diesen Pro- zess einzulassen, mag in gewisser Weise sehr schmerzlich sein. Aber wir müssen auf diese Selbstfinanzierung hinarbeiten. Das bedeutet, dass wir sehr genau unterscheiden müssen zwi- schen dem, was wesentlich und für unsere Iden- tität konstitutiv ist und was wir nicht fallen las- sen dürfen, und dem, was dies nicht ist. Bedeutet das, dass man auch Institutionen schließen muss? Ich hoffe, nicht, aber wir müssen genau auf das schauen, was wir machen müssen. Es gibt Akti- vitäten, die bleiben oder sich weiterentwickeln. Eine Sache ist wichtig: diese Entscheidung liegt nicht bei mir. Wir müssen unsere Institutionen selbst fragen. Kann das Heilige Land wirklich auf das Geld ver- zichten, das von außen kommt? Seit der Zeit des heiligen Paulus gibt es eine Kol- lekte für Jerusalem und das wird immer so blei- ben. So sehr ich denke, dass wir unsere Abhän- gigkeit reduzieren müssen, so sehr sehe ich, dass wir uns keineswegs ganz ändern werden. Man muss die besonderen sozialen Verhältnisse jedes Landes unserer Diözese berücksichtigen. Eine Sache ist sicher: man kann nicht beabsichti- gen, dass die Menschen nicht mehr von der Kir- che abhängig sind, wenn es nichts anderes gibt. Wenn in Jerusalem unsere Institutionen aufhör- ten, dann wären 50 % ohne Arbeit. Wenn wir uns zurückzögen, müsste man eine Situation schaf- fen, dass unser Gläubigen von uns unabhängig wären. Ist die Kirche allein in der Lage, diese Bedingungen zu schaffen? Ich glaube es nicht. Meinen Sie darum, dass es für die Kirche von Jerusalem eine Art neuer Frühling geben könnte? Ich weiß nicht, was Sie unter einem neuen Früh- ling verstehen. Was sicher ist, ist, dass Änderun- gen im Gange sind. Eine neue Generation von Christen wächst schon heran. Ob man es will oder nicht, die Kirche wird sich ändern. Die neue Generation hat neue Erwartungen an die Kirche und die Kirche, das ist die Gemeinschaft der Gläubigen. Und diese Gemeinschaft wird anders sein, sowohl an ihren Zahlen als auch an ihren Erwartungen. KeinWandel kommt, weil man ihn sich ausgedacht hat, Änderungen kommen mit Notwendigkeit. Es ist Aufgabe der Hirten, diesen Wandel zu begleiten und den Gläubigen zu hel- fen, die aktuelle Situation ohne Frustration zu leben. Viele Gläubige befinden sich in einer schwierigen Situation. Glauben Sie, dass manche auswan- dern wollen? Die Auswanderung wird immer schwieriger, weil die Krise weltweit ist. Auch die Globalisie- rung kommt mit dieser Pandemie in eine Kri- se. Einer der Faktoren für die Auswanderung ist ein geschwächter Sinn für die Zugehörigkeit zur Heimat und eine gewisse Identitätskrise. Die aktuelle Schwierigkeit gibt uns Gelegenheit, unseren Gläubigen zu helfen, ihre Verwurzelung hier zu vertiefen. Welche spirituelle Botschaft haben Sie für sie? Man kann sich nicht damit zufrieden geben, jemandem zu sagen, dass Jesus ihn liebt, wenn er nichts hat, um seine Kinder zu ernähren. Aber was ich in diese Corona-Krise sehe, ist, dass die Menschen ein Herz und Präsenz nötig haben. Wir haben unsere Aktivitäten eingestellt und ich habe Hinweise gegeben, um sich auszutau- schen und in der Familie zu beten. Ich sehe die- Interview Interview
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