Im Land des Herrn | 74. Jahrgang | 2020 - 4

IM LAND DES HERRN 32 4/2020 wird. Dieses Motiv – Verbindung von Quadratur und Kreis – tritt noch stärker im Synagogen­ raum auf. Dieser Raum gibt dem Baukörper das Tageslicht und ist zugleich Bindeglied zwischen den Baukörpern. Die Studienräume sind offen und freundlich und lassen sich einsehen – bei meinem letzten Besuch zum Beispiel konnte ich einen Deutsch- Kurs verfolgen, ein Hinweis darauf, dass diese Räume nicht allein religiösen Motiven dienen. Wenden wir uns dem eigentlichen Synagogen­ raum zu. Während im linken Teil des Komplexes im Audi­ torium zum Beispiel, auch konservative und reformierte „Gottesdienste“ stattfinden, ist der eigentliche Synagogenraum klar als orthodoxe Synagoge konzipiert, lediglich auf eine Frauen­ empore wurde verzichtet und stattdessen gibt es einen Raum für Frauen, der mit einer Art „Spa­ nischer Wand“ abgetrennt ist (links im Bild auf Seite 31 erkennbar). Im räumlichen Zentrum des Raumes, wieder in edlem, hellen Holz aus­ geführt, die „Bima“ das Lesepult. Alles orientiert sich zum Thora-Schrein hin, der hier als das Tor zum himmlischen Jerusalem gestaltet ist. Ein weiterer Lichteffekt stellt sich ein: der eigent­ liche Schrein wird von zwei Lichtbändern aus durchscheinendem Onyx flankiert. Die Wirkung wird ver­ stärkt durch das im Laufe des Tages sich immer wieder ver­ ändernde von oben einfallende diffuse Tageslicht. Der Schre in t rägt in s e inem oberen Abschluss den heb­ r ä i s c h e n P s a l m­ vers „Ich habe den Herrn beständig vor Augen“ (Psalm 16,8). Eine kleine Beob­ achtung, die ich im Laufe der Jahre machen konnte: links neben dem Schrein befand sich bei meinen ersten Besuchen noch eine kleine rote Leuchte, ver­ gleichbar unserem „Ewigen Licht“, später ver­ schwand dieses Licht. In der Folgezeit mehrten sich die Anzeichen, dass orthodoxe Juden den ursprünglichen Raum immer mehr nach ihren Ansichten „ausschmücken“: Hinweis- und Ver­ botsschilde mehrten sich, die „Frauenabteilung“ wurde mit Gardinen blickdichter gemacht und unschöne Opferbüchsen (selbst auf dem Lese­ pult) aufgestellt. Eigentlich widerspricht das der Intention des Architekten Botta, der selbst sagt: „Die Botschaft, die in meinem Entwurf enthal­ ten ist, findet sich … auch in der Gliederung in zwei identische Köpfe – einen säkularen und einem religiösen –, die das Land charakteri­ sieren.“ Gerade in den aktuellen Auseinander­ setzungen zwischen diesen beiden Strömungen – erinnert sei beispielsweise an das jahrelange Ringen um die Wehrpflicht für orthodoxe Män­ ner oder um das unverhältnismäßige Entgegen­ kommen der Regierung in Bezug auf die Rege­ lungen während der Corona-Pandemie – zeigt sich wie wichtig diese Symbol der Versöhnung zwischen den immer mehr auseinandertriften Gruppen im Land ist. Zusammenspiel von Quadratur und Kreis und daraus resultierende Lichtquellen der Decke.  © Petrus Schüler

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