Im Land des Herrn | 75. Jahrgang | 2021 - 1

IM LAND DES HERRN 36 1/2021 Prozession den Anfang mit Vorgehen eines Akolu- then, welcher kontinuierlich das Kruzifix inzen- siert, hinter welchem alle Brüder und Priester gehen, alle mit großen weißen Fackeln oder Tort- schen, alsdann Reverendissimus Pater Guardian in schwarzem, bischöflichem Ornat zwischen seinen beiden Ministern, nach welchen die weltlichen Geistlichen in großer Menge, alle mit weißen bren- nenden Lichtern, folgen. Und so gehet man zu der Kapelle, wo die Söldner die Kleider Christi ausge- spielet und unter sich geteilet haben, wo die ande- re (zweite) Predigt in spanischer Sprache gehalten wird. Von da gehet man zu der Säule der Krönung und Verspottung, wo die dritte Predigt in griechi- scher Sprache geschieht. Von selbigem Platz gehet die Prozession auf den Kalvarienberg an den Ort, wo Christus an das Kreuz ist genagelt worden. Das Kruzifix wird auf den Stein der Annaglung Chris- ti gelegt und bei dem Haupt die vierte Predigt in lateinischer Sprache gehalten. Von da gehet man ein wenig linker Hand zu dem Ort, wo Christus an dem Kreuz ist erhoben worden, und es wird das herumgetragene Kruzifix von den Ministern in das Loch hineingesetzt, in welchem das Kreuz Christi gestanden war. Alsdann wird in welscher Sprache die fünfte Predigt gehalten. Allhier ist zu merken, dass dieses Kruzifix und das Bildnis Christi an dem Kreuz um ein gutes Stück größer ist als unser Kruzifix (in Europa), das man bei Prozessionen herumträgt, doch aber nit gar eines Manns groß. Zudem ist an die- sem Bildnis Christi an dem Kreuz die Achsel mit einem Gelenk versehen (,abgeglidet‘), doch ganz unvermerkt, dass bei folgender Andacht die Arme Christi herabfallen und zur Erde hängen, wie zu sehen ist bei einem toten Leichnam. Deswegen ist dies bewegend (,beweglich‘) und mit weinen- den Augen anzusehen, denn einer aus den Pries- tern, der den Joseph von Arimathäa präsentieret, steigt auf die Höhe des Steins, der fast eine Elle hoch auf dem Kalvarienberg ist, und schlägt mit einem Hammer mit etlichen Streichen einen Nagel heraus, der in allen gegenwärtigen Ohren erklinget und die Seufzer und Zähren der Umste- henden heraustreibt, und zwar noch mehr, indem er solchen Nagel in die Höhe hebt und nit nur allein denselbigen betrachtet, sondern auch allen Gegenwärtigen zu einer Betrachtung vorhält, in Bedenkung der Schmerzen, die der unschuldige Jesus gelitten, als Er an das Kreuz genagelt wor- den ist. Und auf solche Weise schlägt der vorge- meldete Priester auch heraus die anderen zwei Nägel und leget alle Zeit solche in eine Schale. Und nach solchem, mit Hilf eines anderen, der gleich den Nikodemus präsentieret, nehmen sie mit großer Ehrwürdigkeit einen Schleier durch Jesu beide Arme und Füße mit solchem Affekt und bewegenden Zeichen und wickeln den Leich- nam in eine große Leinwat, dass alle Zuseher, Griechen, Armenier und Kopten samt den gegen- wärtigen Christen, zumWeinen bewegt werden. Nach solchen Zermonien gehet die Prozession wiederum von dem Kalvarienberg herab, und es wird der von dem Kreuz abgenommene Christus von vier Priestern, liegend in einer Leinwat, getra- gen bis zu dem Stein, wo Christus ist gesalbet wor- den, auf welchen sie den eingewickelten Leichnam Christi legen, und knien mit dem Reverendissimo Patre Guardiano nieder auf die Erde und bleiben so lang knien, bis die sechste Predigt in arabischer Sprache gehalten worden ist. Denn weil allda ein großer Platz ist, will ich zuvor aber bedenken und zu Herzen führen, dass etliche tausend Menschen gegenwärtig sind von allerlei Glaubens, deren die Römisch-Katholischen die wenigsten sind. Doch bei solcher Menge Volks ist eine solche Aufmerk- Ein Diakon zeigt den aus dem Kreuz geschlagenen Nagel.  © MAB Kustodie

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