Im Land des Herrn | 75. Jahrgang | 2021 - 1
IM LAND DES HERRN 6 1/2021 die die reiche ottonische Ausstattung zum großen Teil entfernte. Der Niedergang wurde dann noch beschleunigt durch die Profanierung der Kir- che, die fortan als Getreidespeicher, Kartoffelkel- ler und Stallung (im Kreuzgang) diente. Erst mit den Restaurierungsbestrebungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts erwachte der ursprüngliche ottonische Bau aus seinem „Dornröschenschlaf “, wurde in seiner Substanz gerettet und zeigt seit- dem seine klare architektonische Schönheit. Kommen wir nun aber zum „Heiligen Grab“, wel- ches trotz der noch unklaren Datierung (man nimmt für den Einbau die Jahre 1060–1080 an, spätestens jedoch um 1130). Somit ist das Heilige Grab wohl der älteste Nachbau der Jerusalemer Anlage im deutschspra- chigen Raum. Wie im Bild ersichtlich, ähnelt der äußere Aufbau (Länge 10 Meter) einem Elfenbeinkästchen mit reicher Ornamentik; es war auch der oben erwähnte Ferdinand Quast, der den Bau als Grabnachbau identifizieren konnte; vorher sprach man fälsch- licher Weise von einer Gerokapelle oder einer Bußkammer. Wenden wir uns der Westseite zu: in Friesbändern begegnet uns eine iko- nografisch nicht immer leicht ein- zuordnende Tier- und Pflanzenwelt: Löwen, Adler, Schlangen- und Fischköpfe, dazu Blüten, trau- benähnliche Früchte und Ornamente. Eindeutig jedoch erscheint uns in der obe- ren Mitte das „Osterlamm“. Die einzigen menschlichen Gestalten sind jeweils links und rechts davon angeord- net: Johannes der Täufer mit dem Kreuzstab und auf der rechten Seite Mose mit einer Gesetzestafel. Beide weisen in ihrer Gestik auf das Oster- lamm hin. Optischer Mittelpunkt der Westseite ist eine Frauenfigur, 129 Zentimeter hoch. Aller Wahr- scheinlichkeit handelt es sich hierbei um Maria Magdalena von der es heißt: „Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte.“ (Joh 20,11). Das Pendant dazu finden wir auf der Nordseite des Grabbaues: Es ist die berühmte „Noli-me-tan- gere-Szene“, eine chronologische Fortsetzung des Osterberichtes nach Johannes: „Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen. Jesus sag- te zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte Westseite, mittig Maria Magdalena. © Petrus Schüler Heiliges Grab im südlichen Seitenschiff. © Petrus Schüler
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