Im Land des Herrn | 75. Jahrgang | 2021 - 2

3/2021 19 Younan Younan KNA: Woher schöpfen Sie Ihre Hoffnung? Younan: Jesus ist unsere Hoffnung und Maria unsere Beschützerin. Wir laden unsere Gläubi- gen, insbesondere die Jugend, ein, wider jede Hoffnung zu vertrauen. Das ist nicht leicht. Ich habe immer gesagt, wir Christen des Orients sind wie der heilige Johannes in der Wüste durch den Westen verlassen worden, ja sogar verraten, weil wir weder zahlenmäßig an die Muslime herankommen, unter denen wir leben noch finanzielle Ressourcen haben. Wir stellen auch keine terroristische Bedrohung dar. Der Westen ist bereit, gefährdete Arten zu schützen, während wir, die Erben der ersten christlichen Gemeinden, vernachlässigt, verlassen, verraten werden. KNA: Wie kann der Westen helfen? Younan: Europa sieht in Präsident Baschar al-As- sad ein terroristisches Monster. Es ist sehr leicht zu sagen, dass es sich um ein totalitäres, despo- tisches Regime handelt. Ich sage: Der Westen hat nicht das Recht, das, was er seine Demo- kratie nennt, in eine Region zu exportieren, in der es keine Trennung zwischen Religion und Staat gibt. Die Amerikaner rufen nach Sanktio- nen aufgrund von Fotos, die Folterszenen durch die syrische Armee zeigen. Was kann man tun in einem solchen Krieg, in dem es so viele Gräuel- taten von allen Seiten gibt? In den Kriegen, die ihr in Europa hattet, gab es so viele Scheußlich- keiten – man hätte gar nicht über alle berichten können. Hier kommt man mit ein paar Fotos und urteilt danach. Die westlichen Länder müssen aufhören, das zu sprechen, was man politisch korrekte Sprache nennt. Sie müssen dieWahrheit sprechen. Sie müssen diesen Völkern helfen, sich wahrhaft zu versöhnen, vor allem die Muslime untereinander, Sunniten und Schiiten, damit sie zu einer Stabilität und einem dauerhaften Frie- den kommen können. KNA: Ließe der Islam bei einer solchen sunni- tisch-schiitischen Versöhnung noch Raum für Christen? Younan: Wir müssen unseren muslimischen Brü- dern sagen, dass wir im 21. Jahrhundert leben und nicht mehr im 7. Jahrhundert. Ihr seid ein- geladen, die Schriften, die ihr als heilig anseht, in einer menschlicheren Weise zu interpretie- ren und Nicht-Muslime nicht zu diskriminie- ren. Und vor allem: nicht eure Jugend zu lehren, die Verse wörtlich zu nehmen. Es gibt Verse im Koran, die tolerant sind. Warum nicht diese Ver- se lehren und jene beiseitelassen, die von Gewalt sprechen? Warum nicht die Jugend die Tugend lehren, die sie dazu bringt, den anderen anzu- nehmen, wie er ist? Lebensmittelverteilung für Pfarrangehörige in Latakia, Syrien.  © Fadi Azzar CTS

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