Im Land des Herrn | 75. Jahrgang | 2021 - 4

IM LAND DES HERRN 14 4/2021 stämme, Jerobeam I., machte Sichem zur Resi- denz und befestigte es (1Kön12,25), seine Nach- folger residierten aber weiter nördlich, zunächst in Tirza (1Kön 15,33; vgl. S.249). Nach der Grün- dung von Samaria durch König Omri geriet Sichem immer mehr in den Schatten Samarias und verlor an Bedeutung. Der Hasmonäerkönig Johannes Hyrkanus zerstörte es 128 v. Chr. Hier befand sich wohl der „Ort in Samarien, der Sychar hieß und nahe bei dem Grundstück lag, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen“. (Joh 4,5–6;) Mit der Zerstörung Sichems durch Johannes Hyrkanus hört die Geschichte des alten Sichem auf, es beginnt die Geschichte einer neuen Stadt, die nicht von ungefähr den Namen Neapolis bekam. Griechisch Neapolis heißt „Neu-Stadt“, und Nablus ist nichts anderes als die arabische Zusammenziehung dieses Namens, der uns auch im italienischen Neapel begegnet. Nablus als Stadt wurde nach dem siegreichen Ende des Ers- ten Jüdischen Krieges im Jahre 72 n. Chr. vom römischen Feldherrn und nachmaligen Kaiser Titus gegründet und zu Ehren seines Vaters, des Kaisers Vespasian aus dem Geschlecht der Fla- vier, Flavia Neapolis Samariae , „Flavische Neu- stadt von Samarien“, benannt. Die eigentliche Verlagerung der Siedlung begann aber schon früher. Grund dafür mag die größere Nähe zum Berg Garizim gewesen sein, der trotz der Zer- störung des dortigen Tempels weiterhin im Mit- telpunkt des Interesses der Samaritaner und Römer stand. Kaiserliche Förderung bewirkte, dass die Stadt rasch aufblühte und in der Folge mit Theater und Rennbahn ausgestattet wurde. Flavia Neapolis war die Heimat des hl. Justinus, der als römischer Bürger und philosophischer Wahrheitssucher Christ wurde, in Rom zwei Ver- teidigungsschriften für das Christentum verfass- te und sein Bekenntnis im Jahr 166 n. Chr. mit dem Märtyrertod besiegelte. Bei seiner Schrift „Dialog mit dem Juden Tryphon“ hat wohl seine palästinensische Herkunft Pate gestanden. Neapolis wurde im 4. Jh. Bischofssitz. In den fol- genden zwei Jahrhunderten kam es zu mehreren Aufständen der Samaritaner gegen die (christ- liche) byzantinische Herrschaft. In der Zeit der Kreuzfahrer wurden mehrere Kirchen neu oder wieder errichtet, 1187 eroberte Saladin die Stadt. Vom 19. Jh. bis in die Gegenwart war Nablus immer wieder Zentrum desWiderstandes gegen die jewei- ligen (osmanischen, britischen, jordanischen, israelischen und palästinensischen) Machthaber. Tell Balata Es dauerte bis zum Beginn des 20. Jh., bis das alte Sichem beim Tell Balata am Südhang des Ebal wieder aufgefunden und erforscht wer- den konnte. Der Name des Ruinenhügels stellt dabei die Verbindung zu der Orakeleiche her, die bereits Abraham aufgesucht hat und die vier Jahrhunder te später beim „Landtag “ Josuas in Sichem wieder im Mittelpunkt stand (Jos 24,26): Aramäisch Ballut (das Wort lebt in unserer Platane weiter) heißt Eiche . Die ersten Grabungen am Tell Balata (damals noch außer- halb der Stadt gelegen) wurden vom deutschen Archäologen und Theologen Ernst Sellin 1913/14 Justin der Märtyrer, Ikone in der Kirche des Jakobsbrunnens, Nablus.  © Petrus Schüler

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