Im Land des Herrn | 75. Jahrgang | 2021 - 4

4/2021 35 wischen dem Berg Tabor und dem Hügel Kana ist das Wort Fleisch geworden, auf der Wasserscheide zwischen dem Mittel- meer und dem Jordangraben, in der ultimativen Selbstentäußerung vom Schöpfer des Himmels und der Erde. Nicht die „Stadt des großen Königs“, wie Jesus Jerusalem nannte, oder Betlehem, die Stadt sei- ner Geburt, ist der Ort der ultimativen Stern- stunde der Menschheit, sondern Nazaret, wo die Menschwerdung Gottes in Maria im Gruß des ersten „Ave Maria“ des Erzengels Gabriel ihren Anfang nahm. „Sternstunden der Mensch- heit“, definierte Stefan Zweig im Vorwort seines weltberühmten Buches, seien jene Momente, in denen folgendes geschehe: „Was ansonsten gemächlich nacheinander und nebeneinan- der abläuft, komprimiert sich in einen einzigen Augenblick, der alles bestimmt und alles ent- scheidet: Ein einziges Ja, ein einziges Nein, ein Zufrüh oder ein Zuspät macht diese Stunde unwiderruflich für hundert Geschlechter und bestimmt das Leben eines Einzelnen, eines Vol- kes und sogar den Schicksalslauf der ganzen Menschheit.“ Ja, so ist es, und der größte all dieser Momen- te hat sich in Nazaret in Galiläa und nirgendwo sonst oder anders zugetragen. Darum beginnt die klassische christliche Pilgerreise ins Hei- lige Land auch in Nazaret, hoch oben im Nor- den Israels, in der Stadt neben dem Berg Tabor, bevor sie im Süden in Jerusalem in Judäa endet. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch hier verschiedene und konkurrierende Traditio- nen und Erzählungen gibt, wo hier was genau geschah. Für die Griechen etwa sprach der Erz- engel die Jungfrau Maria beim orientalischen Wasserholen an und sie lassen das Wasser die- ser Quelle noch heute durch ihre Gabriel-Kir- che sprudeln. Für die Lateiner hingegen suchte Nazaret – Echoraum der Sternstunde Gottes mit den Menschen Paul Badde Gemälde im Museum der Griechisch-Orthodoxen Kirche in Nazaret: im oberen Teil der vom Jordan durchflossene See Gennesaret, der Berg Tabor im ansteigenden Bergland und schließlich die Stadt Nazaret.  © Petrus Schüler Z

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