Im Land des Herrn | 75. Jahrgang | 2021 - 4

4/2021 9 der damaligen europäischen Mode zu schmücken. Bevor die Kreuzfahrer 1344 von osmanischen Truppen aus dem Heiligen Land verjagt wurden, beeilten sie sich, die Instrumente abzubauen und im Untergrund der Grotten zu verstecken, in der Hoffnung, dass die Pracht der christlichen Litur- gie eines Tages in Betlehem wieder aufscheinen möge. Erst 1906 bei Arbeiten für das Casa Nova Hospiz, das Gästehaus der Franziskaner für Pilger, wurden diese Orgelrelikte zufällig entdeckt. Sieht man die Orgelpfeifen und die Glocken auf dem Fußboden des Klosters St. Salvator eng nebeneinander liegen, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. „Man könnte meinen, sie seien erst gestern geschmiedet worden“, schwärmt David Catalunya, der kein Detail übersieht. Sofort macht er eingravierte Buchstaben an den Kernspalten ausfindig, durch die der Luftstrom geblasen wird und den Ton erzeugt. Es sind Musiknoten. Drei Tage lang jagt eine überraschende Entdeckung die nächste, er ist so fasziniert und aufgeregt, dass er nicht schlafen kann. Ihm stehen nur zwei Wochen zur Verfügung und er möchte jede Minute ausnut- zen, zumal er einen Vortrag über die ersten Ergeb- nisse seiner Erkundung vorbereiten soll. Es geht darum, eine historische Leerstelle zu füllen Auf Jerusalem ohne Pilger, gleichzeitig „Zent- rum der Welt und kleines Dorf “, blickt er voller Bewunderung. Sein Blick wird aufmerksamer aber nicht minder staunend, wenn er sich mit seinem Fotoapparat in der Geburtskirche auf die Suche nach der Stelle am Mauerwerk macht, auf der sich das ein Meter hohe und ein Meter breite Instru- ment befunden haben mochte. Er fotografiert die hinterstenWinkel der Basilika, deren Struktur seit den Kreuzzügen gleichgeblieben ist. Er ist bereits imstande mehrere Hypothesen aufzustellen. Sei- ne Freude ist nicht zu übersehen: „Seitdem ich hier bin, bin ich von einer Welle von Emotionen überwältigt, die umso stärker sind, als ich einein- halb Jahre auf diese Reise gewartet, sie vorbereitet und antizipiert habe. Alles wird verstärkt“, erklärt der Musikologe, der beinahe nicht in das Flug- zeug einsteigen konnte – wegen diverser letzter Schwierigkeiten mit den israelischen Behörden. Wie kam er dazu, sich für solche Gegenstände zu interessieren? Aus Leidenschaft? Alles begann 2018. Der Forscher befand sich damals in Oxford, wo er gerade an einem Kapitel über Orgeln und ihre komplizierte Technik für ein Musikge- schichtsbuch schrieb. Bevor ihn seine Neugierde in die Welt der Wissenschaft hineinkatapultierte, spielte er Orgel auf hohem Niveau. „Bedeutung, Bräuche, Geschichte … ich wollte über das Instru­ ment, das ich spielte, mehr erfahren“, sagt er heu- te. Er entzifferte Hunderte von Manuskripten, promovierte und wurde zu einem Musikologen mit dem Schwerpunkt mittelalterliche religiö- se Musikkultur. Während seiner Recherche für besagtes Kapitel stieß er auf einen Beitrag zu den Überresten einer Orgel aus der Kreuzfahrerzeit in Jerusalem, der seine Neugier weckte. „Die bisher älteste Orgel, die im christlichen Raum gefun- den wurde, stammt aus dem 15. Jh. Diese könnte Orgel Betlehem Orgel Betlehem Italienische Restauratoren bei den Arbeiten an den Mosaiken der Geburtskirche. © Marie Armelle Beaulieu

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