Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2

10 2/2022 gehörte selbstverständlich demVater. Auch über die eigene Person konnte das Mädchen nicht selbst verfügen. Hatte es z. B. Gott etwas ver- sprochen, d. h. ein Gelübde gemacht, konnte der Vater das Gelübde „auflösen“, d. h. rückgängig machen. Auch lag die Annahme oder Ablehnung einer Brautwerbung ausschließlich in seiner Hand. Starb der Vater, so ging dieses Recht an die Mut- ter bzw. die Brüder über. Im alttestamentlichen „Hohenlied“ ist uns ein Gespräch überliefert, wie sie möglichst viel Gewinn durch die Verheiratung ihrer Schwester herausschlagen können: „Wir haben eine kleine Schwester, noch ohne Brüste. Was tun wir mit ihr, wenn jemand um sie wirbt? Was tun wir mit unsrer Schwester am Tag da jemand um sie wirbt? Ist sie eine Mauer bauen wir silberne Zinnen auf ihr. Ist sie eine Tür, ver- sperren wir sie mit einem Zedernbrett“ Hld 8,8 f. – Bis zum Alter von zwölfeinhalb Jahren hatte die Tochter nicht das Recht, eine Ehe zu verwei- gern, die der Vater für sie beschlossen hatte, auch wenn der Bräutigam (solche Fälle sind über- liefert) verunstaltet war und alles andere als das Wohlgefallen seiner Braut erregte. – Es soll übri- gens vorgekommen sein, dass leichtfertige Väter gelegentlich nicht mehr genau wussten, wem sie ihre Tochter zur Ehe versprochen hatten. Was heutigen Lesern wohl als ganz besonders entwürdigend erscheint, ist die Tatsache, dass ein Vater damals berechtigt war, seine Tochter (bis zum 12. Lebensjahr) als Sklavin an einen Juden zu verkaufen. Vorgesehen ist dieser Fall in Ex 21,7, wo es heißt: „Wenn einer seine Tochter als Skla- vin verkauft hat, soll sie nicht wie andere Sklaven entlassen werden. Mag sie der Herr nicht mehr, der sie für sich selbst bestimmt hat, dann soll er sie zurückkaufen lassen. Er hat nicht das Recht, sie an andere zu verkaufen …“ – Mit anderen Worten: Der eben geschilderte Verkauf lief in der Regel darauf hinaus, dass das Mädchen zur Ehe mit dem Käufer bzw. dessen Sohn bestimmt war. Was den Verkauf von Familienangehörigen in die Sklaverei betrifft, so haben wir in dem berühmten Gleichnis Jesu „vom unbarmher- zigen Knecht“ (Mt 18,23 ff.) eine Bemerkung, die vermutlich konkrete palästinische Verhält- nisse widerspiegelt: Weil der „Diener“ (d. h. ein hoher königlicher Beamter) seine Schuld von 10.000 Talenten „nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen“. Die Verlobung Der Neutestamentler und gute Kenner der jüdi- schen Verhältnisse Joachim Jeremias leitet seine Ausführungen über die Verlobungsbräuche in Israel mit der vielsagenden Bemerkung ein: mit ihrer Verlobung, die in einem für unser Emp- finden sehr frühen Alter erfolgte, ging die Jung- frau „aus der Gewalt des Vaters in die des Gatten über“, d. h. das bisher schon immer unfreie Mäd- chen wechselte mit der Verlobung nur seinen „Herrn“. IM LAND DES HERRN Verlobung der Hl. Familie, Frederick Shrady, Südportal der Verkündigungsbasilika in Nazaret  © Petrus Schüler

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