Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2

2/2022 11 Das normale Verlobungsalter war zwölf bis zwölf- einhalb Jahre, wobei die Verlobungen und Ehe- schließungen in noch jüngerem Alter sicher bezeugt sind. Dabei war es üblich, dass man sich mit einer Verwandten verlobte. Für den Fall, dass Töchter über Erbbesitz verfügten, weil es keine männlichen Nachkommen gab, hatte das Mosai- sche Gesetz die Verwandten-Ehe sogar vorge- schrieben. – So heißt es z. B. im Buch Tobit, dass der junge Tobit ein Anrecht auf seine Verwandte Sara hat, die „nach Recht und Gesetz“ als einziges Kind ihres Vaters ihm gehört. „Du bist“, sagt ihr Vater Raguel zu Tobit, „mit ihr verwandt; sie gehört dir. Gott schenke euch viel Glück!“ (Tob 7,12). Sehr empfohlen wurde die „Nichten-Ehe“, d. h. die Heirat der Tochter der Schwester. Aber auch die Heirat der Tochter des Bruders kam nicht selten vor. Durch den Historiker Flavius Jose- phus wissen wir, dass z. B. die meisten Ehen im Herodianischen Königshaus Verwandten-Ehen waren. Bevor es zur Verlobung kam, musste der Bräu- tigam „werben“ und einen Ehevertrag abschlie- ßen. In diesem Vertrag ging es primär um die Regelung vermögensrechtlicher Beziehungen: Eine wichtige Rolle spielte dabei die sogenann- te „Hochzeitsverschreibung“, die Festsetzung jener Geldsumme, die der Frau zufiel, wenn der Mann starb oder sich von ihr scheiden ließ. Waren diese Fragen geregelt, hieß die Verlobte „Frau“; sie konnte Witwe werden, konnte durch einen Scheidebrief entlassen und wegen Ehe- bruchs mit dem Tod bestraft werden. – Der christliche Leser denkt in diesem Zusammen- hang natürlich an den hl. Josef, der nach der Darstellung des Matthäus völlig konsterniert ist, als er bemerkt, dass „Maria, eine Verlobte“ schwanger ist. Weil er „gerecht“, d. h. im vorlie- genden Fall: gutmütig und menschenfreundlich ist, verzichtet er darauf, Maria als Ehebrecherin verurteilen zu lassen. Er beschließt, sich heim- lich von ihr zu trennen. Dazu kommt es aber nicht, weil Gott ihn im Traum „eines Besseren belehrt“ (vgl. Mt 1,18–25). Heirat und Hochzeit Die Heirat fand in der Regel ein Jahr nach der Verlobung statt. Mit diesem Ritual – wieder kommen Machtstrukturen ins Spiel! – ging die Frau endgültig in die „Gewalt des Ehemannes“ über. Obwohl in der Bibel (Gen 2,24) steht: „Der Mann wird Vater und Mutter verlassen und bin- det sich an seine Frau“, war die Sache in der Regel anders: die junge Ehefrau musste ihren gewohnten Lebensraum aufgeben und sich in eine ihr fremde, und nicht selten abweisend gesinnte Familiengemeinschaft einfügen. Im Grunde galt sie oft nicht mehr als eine Sklavin, die man „durch Geld, Urkunde und Beischlaf “ erworben hatte. Rechtlich allerdings unterschied sich die Ehe- frau von einer Sklavin dadurch, dass sie erstens das Verfügungsrecht über die Güter behielt, die sie als Aussteuer von zu Hause mitgebracht hat- te, und dass sie zweitens eine gewisse Sicherung durch die bereits erwähnte „Hochzeitsverschrei- Frau in der jüdischen Gesellschaft Frau in der jüdischen Gesellschaft Traum des hl. Josef, Wien Josefbrunnen am Graben  © Petrus Schüler

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=