Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2
2/2022 13 Im Übrigen (von einigen Extremfällen abgese- hen) lag das Recht zur Scheidung ganz einsei- tig aufseiten des Mannes. Im Mosaischen Gesetz hieß es bezüglich der Scheidung: „Wenn ein Mann eine Frau geheiratet hat und ihr Ehemann geworden ist, sie ihm aber dann nicht gefällt, weil er an ihr etwas Anstößiges entdeckt, … kann er ihr eine Scheidungsurkunde ausstellen“ (vgl. Deut 24,1). – Dieses „Anstößige“ (nach dem heb- räischen Urtext: „dieses Schandbare“) war nun in der Praxis näher zu definieren. Nach man- chen Gesetzesauslegern war darunter „Unzucht der Ehefrau“, d. h. Ehebruch zu verstehen (das ist auch von modernen Lesern nachzuvollzie- hen). Nach anderen Interpreten aber genügte zur Scheidung irgendetwas, das dem Mann „mißfiel“ (z. B. eine angebrannte Suppe oder die nachlas- sende Attraktivität der in die Jahre gekommenen Frau). Mit solcher Auslegung (und die gab es tat- sächlich!) war das Scheidungsrecht der Willkür des Mannes übergeben: Er konnte aus einem beliebigen Grund seine Frau aus dem Haus jagen. Allerdings musste er ihr – und das schob seiner Willkür einen Riegel vor – die schon mehrmals erwähnte Hochzeitsverschreibung auszahlen. Was die Zahl der Ehescheidungen betrifft, müs- sen wir in unseren Schätzungen vorsichtig sein. Wir sprachen vorhin schon von einem kleinen Dorf bei Bethlehem, das man bezüglich der „Viel- weiberei“ in unserem Jahrhundert hat. In die- sem Dorf (es heißt übrigens Artas) gab es in der Zeit von 1830–1927 von 254 geschlossenen Ehen nur elf Scheidungen (das sind nur 4 %!). Viel- leicht waren auch zur Zeit Jesu Ehescheidun- gen (obwohl erlaubt und rechtlich möglich) die absolute Ausnahme. Die größte Härte für die geschiedene Frau lag wohl darin, dass ihr die Kinder genommen und dem Vater zugesprochen wurden. Im Übrigen hatte die Frau an ihren Verwandten einen geis- tigen und wirtschaftlichen Rückhalt. Wenn sie (wie vorhin schon erwähnt) eine „Nichten-Ehe“ eingegangen war, traten die Mitglieder der Groß familie für sie ein. Wichtig war für eine Frau auch, dass sie Kinder, vor allem Söhne geboren hatte. Eine Mutter von Söhnen konnte sich allge- meiner Anerkennung erfreuen. Eine kinderlose Frau allerdings galt als von Gott gestraft. Die Frau alsWitwe Wenn ein Mann ohne männlichen Nachkom- men gestorben war, blieb die Frau zunächst noch an den Gatten gebunden, d. h. sie muss- te, ohne selbst etwas unternehmen zu können, abwarten, ob einer der Brüder des Mannes mit ihr die „Schwagerehe“ einging. Im Mosaischen Gesetz heißt es dazu: „Ihr Schwager soll sich ihrer annehmen, sie heiraten und die Schwager- ehe mit ihr vollziehen. Der erste Sohn, den sie gebiert, soll den Namen des verstorbenen Bru- ders weiterführen…“ (Deut 25,5 f.). – War keiner der Brüder des Verstorbenen zur Schwagerehe bereit, konnte die Witwe nach freier Wahl eine neue Ehe schließen. Erweckung des Jünglings von Nain – Ölgemälde in der Kirche Nain © Petrus Schüler Frau in der jüdischen Gesellschaft Frau in der jüdischen Gesellschaft
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