Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2

IM LAND DES HERRN 18 2/2022 Dass sie das tat (und tun durfte), war übrigens in der Umwelt Jesu ungewöhnlich. Ein jüdischer Rabbi hätte sich bei Tisch nie von einer Frau bedienen lassen. Das galt einfach als unschick- lich. Jesus aber kümmert sich um solche frauen- feindlichen „Anstandsregeln“ nicht. Oder erinnern wir uns an die Geschichte von der „blutflüssigen Frau“ (Mk 5,21–43). Die schon zwölf Jahre am Blutfluss leidende Frau, die sich im Zustand permanenter „Unreinheit“ befindet, berührt Jesus (wodurch er selber „unrein“ wird!) in der Hoffnung, dadurch Heilung zu finden. Jesus nimmt keinen Anstoß an dieser Kühnheit, im Gegenteil: er spricht die Frau mit „Tochter“ an (worin sich seine persönliche Zuwendung zu ihr zeigt) und rühmt ihren Glauben, durch den sich die Frau selber „geholfen hat“ (Mk 5,34). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang noch die „Syrophönizerin“, d. h. eine heidni- sche Frau aus dem Gebiet von Tyrus, die wir oben kurz vorgestellt haben: Sie bittet Jesus für ihre kranke Tochter um Hilfe und beweist dabei ein Vertrauen, das sich durch keinen Widerstand aus der Fassung bringen lässt. Aus dem nicht gerade freundlichen Wort Jesu: „Es ist nicht recht, den Kindern das Brot wegzu- nehmen und es den Hunden vorzuwerfen“, zieht sie einen Vorteil: „Ja, du hast recht, Herr, aber auch für die Hunde unter dem Tisch fällt etwas von dem Brot ab, das die Kinder essen.“ Darauf gibt sich Jesus geschlagen und heilt die von einem Dämon besessene Tochter der Frau (vgl. Mk 7,24–30). Der Glaube dieser Heidin relativiert für Jesus nicht nur den Unterschied zwischen Judentum und Heiden, sondern auch den Unterschied zwi- schen den Geschlechtern. Wo Jesus Menschen findet, die vorbehaltlos an ihn glauben, werden alle gesellschaftlichen Regeln und Maßstäbe zweitrangig. Daneben wird man in der Zeit der beginnenden Heidenmission die Erzählung von der „Syrophö- nizerin“ schon deshalb gerne überliefert haben, weil der Anteil der Frauen an der urchristlichen Mission (als Gastgeberinnen und Begleiterinnen der Wandermissionare) sehr groß war. Frauen als Vorbilder Blättern wir im Markusevangelium weiter, dann stoßen wir auf zwei Episoden, in denen Jesus Frauen als Vorbilder wahrer Frömmigkeit heraus- hebt. Gemeint ist eine Beobachtung Jesu imTem- pel, die den meisten von uns unter dem Titel „Das Scherflein der Witwe“ bekannt ist; und ein Erleb- nis Jesu in Betanien, am Beginn der Passion, das man „Die Salbung in Betanien“ zu nennen pflegt. In der ersten Erzählung erfahren wir, dass Jesus eines Tages in der Nähe der Schatzkammer des Tempels (im Frauenvorhof) sitzt und zuschaut, wie die Leute ihre Geldopfer in einen „Kasten“ (in Wirklichkeit waren es posaunenförmige Behälter) werfen und dabei einem Priester die Höhe des Betrages und seinen Verwendungs- zweck angeben. „Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein.“ Jesus ist gerührt. Er weiß spontan, dass diese Frau buchstäblich ihr „Letztes“ geopfert hat, während die anderen nur etwas von ihrem Überfluss abgetreten haben. So beschämt sie die reichen Männer, die bei aller äußeren Frömmigkeit oft sehr selbstsüchtig sind (vgl. Mk 12,41–44). Die „Salbung in Betanien“ (Mk 14,3–9) dürfte wohl die theologisch wichtigste Frauengeschich- te im Markusevangelium sein. Jesus ist Gast im Haus eines gewissen Simon mit dem Beinamen „der Aussätzige“ (was darauf hindeutet , dass Simon einmal an Lepra erkrankt war, jetzt aber wieder gesund ist). Während des Mahles kommt eine unbekannte Frau (die später mit Maria, der Schwester des Lazarus identifiziert wird) herein, zerbricht über dem Haupt Jesu ein Gefäß mit kostbarem Nardenöl und lässt das Öl über sein Haar fließen. Das ist zweifellos eine verschwen- derische Geste, „ein Luxus ohnegleichen“ (Blank). Einige Gäste beginnen zu rechnen: Das Öl ist wenigstens 300 Denare wert, und davon könnte eine mehrköpfige Familie ein ganzes Jahr leben! Wozu diese Verschwendung? Hat diese Frau kein soziales Gewissen? Markus sagt: „Und sie fuhren die Frau heftig an.“ Hier oder vorher aber nimmt Jesus die Frau in Schutz und verteidigt sie: „Hört

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