Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2
IM LAND DES HERRN 20 2/2022 „Gast bei Maria und Marta“ (Lk 10,38–42). In der uns heute vorliegenden Form ist diese Erzählung stilisiert und stellt zwei verschiedene Typen oder Rollen einander gegenüber: Marta, die für das leibliche Wohl Jesu sorgt, verkörpert das aktiv-weltliche Leben; Maria, die ganz an Jesu Wort hingegeben ist, steht für das beschauliche (klösterliche) Leben. Wenn man von dieser Stilisierung absieht, hat man einen ganz alltäglichen Sachverhalt vor sich: In einem ungenannten Dorf wird Jesus von einer Frau namens Marta freundlich aufgenom- men, deren Schwester Maria sich „dem Herrn zu Füßen setzt und seinen Worten zuhört“. Die- se Maria zeigt, dass sie wirklich verstanden hat, worauf es in der Begegnung mit Jesus ankommt: auf das Interesse an seiner Botschaft. Demgegen- über widmet sich Marta ganz den Pflichten der Gastfreundschaft, und als sie sich über die mangelnde Unterstützung durch ihre „untätige“ Schwester bei Jesus beklagt , tritt dieser auf die Seite Marias: Nach sei- nem Urteil tut diese Frau genau das, was für jeden Christen, auch für den Mann, allein notwendig ist. Sie orientiert sich am Wort Jesu. Diese Erzählung macht die vol- le Gleichberechtigung der Frau gegenüber dem Evangelium deutlich. In vielen religiö- sen Frauenbewegungen des Mittelalters hat man das übrigens gut verstanden. Es gab immer wieder Frauen von der Art unse- rer Maria, die sich mit Interesse und Lie- be dem Studium der Hl. Schrift gewidmet haben. Die dienenden Frauen Bei Lk 8,1–3 findet sich ein Sammelbe- richt, in dem von Frauen die Rede ist, die Jesus begleiten und ihm dienen. Wörtlich: „Und es geschah in der folgenden Zeit: er wanderte von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn und auch einige Frauen die von bösen Geistern und Krankheiten geheilt worden waren: Maria, genannt Magdalena, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, Susan- na und viele andere. Sie unterstützten Jesus mit ihremVermögen.“ Neben diese drei genannten (Magdalena, Johan- na, Susanna) kennen wir noch drei andere Jün- gerinnen mit Namen: Maria, die Frau des Kleo- pas (einer der beiden Emmaus-Jünger); Maria, die Mutter des Jakobus und des Joses; und schließlich Salome, die Mutter zweier Jünger, der beiden Fischer Jakobus und Johannes. Dass Jesus diese (und vielleicht noch manche andere) Frauen in seiner Gefolgschaft duldete, war ein in seiner Umgebung äußerst anstößiges Verhalten. Aber für Jesus und für die von ihm praktizierte religiöse Wertung des Menschen zählte nicht mehr „Mann und Frau“, sondern nur Frau am Jakobsbrunnen, Ambo in der Kathol. Kirche in Wildsteig OBB von Thomas Ort © Petrus Schüler
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