Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2

IM LAND DES HERRN 22 2/2022 priestern und Schriftgelehrten: „die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.“ Damit betont er: die von euch verachteten Frauen am Rand der Gesellschaft sind aufge- schlossener für meine Botschaft als ihr. Ein kl ass i s ches „Frauengl e i chni s “ i s t das von den „klugen und törichten Jungfrauen“ (Mt 25,1–13). Seine Deutung ist nicht ganz ein- fach und wir müssen hier darauf verzichten, die theologische Problematik dieser Erzählung zu entfalten. Interessant ist immerhin, dass Jesus Bilder aus dem Themenkreis „Hochzeit bzw. Braut und Bräutigam“ verwendet, um die Mahnung zu verdeutlichen, der Christ möge in Erwartung der noch ausstehenden Heilsvoll- endung nicht erlahmen. In die Alltagswelt einer jüdischen Hausfrau führt und das Gleichnis „von der verlorenen Drachme“ (Lk 15,8–10), das man als weibliches Gegenstück zum Gleichnis vom verlorenen Schaf (Lk 15,1–7) bezeichnet hat. Jesus spricht von einer armen Frau, die nur zehn Drachmen besitzt und eine davon verliert. Voll Sorge tut sie alles, um das verlorene Geldstück zu finden. Und wie groß ist ihre Freude, als sie das Verlorene wiederfindet. Sie ruft ihre Freundinnen und Nachbarinnen herbei, damit sie ihre Freude teilen. „Ebenso herrscht auch bei Gott und seinen Engeln Freu- de über einen einzigen Sünder, der umkehrt“ (vgl. Lk 15,10). Beachten wir: Die geschilderte Frau wird mit Gott verglichen, d. h. Jesu Gottes- bild hat weibliche Züge! Das letzte Gleichnis, das wir zitieren, steht bei Lk 18,1–8: Das Gleichnis vom bösen Richter und der armen Witwe. Eine arme Witwe, die nichts Anderes einzusetzen hat als ihr Rechtsgefühl und ihre Beharrlichkeit, bedrängt einen gewis- senlosen Richter, damit er ihr zu ihrem Recht verhilft. Obwohl der Richter „Gott nicht fürchtet und auf keinen Menschen Rücksicht nimmt“, kapituliert er schließlich vor der Hartnäckig- keit der Frau. – Für Jesus ist sie ein Vorbild für beharrliches Gebet: So unbeirrbar und beharr- lich wie sie soll sich jeder Beter (auch die Män- ner können von dieser Frau lernen!) seinem Gott gegenüber verhalten. Jesus und die Ehebrecherin Die letzte Episode, die unter dem Stichwort „Jesus und die Frauen“ behandelt werden soll, ist die kleine Erzählung von der auf frischer Tat ertappten Ehebrecherin (Joh 8). Die Geschich- te steht heute im Johannesevangelium, hat mit diesem aber vom Stil und von der Theologie her nichts zu tun. Sie wurde lange Zeit wohl frei überliefert (als Wanderperikope, die in keinem der offiziellen Evangelien Platz gefunden hatte). Da sie als „Jesusgeschichte“ galt, hatte man vor ihr Respekt. Da aber die werdende christliche Kirche in Fragen der Ehemoral zu einer gewis- sen Strenge neigte, war ihr die Milde, mit der Jesus die sündige Frau behandelte, unangenehm. Wenn diese Geschichte schließlich trotzdem ins Johannesevangelium kam, dann war das ein Sieg der Jesus-Überlieferung gegenüber einer stren- gen Kirchenordnung. Der Inhalt der Geschichte ist so bekannt, dass wir hier nicht nacherzählen müssen. Es sei nur daran erinnert, dass die Gegner mit dem vorliegenden Fall Jesus in die Enge treiben wol- len. Ihre Frage: „Mose hat uns im Gesetz vorge- schrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du“, ist eine Fangfrage. Ist Jesus für die stren- ge Strafe, dann ist seine angebliche Güte nur äußerlicher Schein. Reagiert er lax und liberal dann fehlt es ihm an Frömmigkeit, d. h. an Treue zum Gesetz. In dieser Situation spricht Jesus zugunsten der Frau einWort, das zu den bedeutendstenWorten der Jesus-Überlieferung gehört: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie!“ – Und mit diesemWort rettet er das Leben der Frau, da ihre Ankläger ausnahmslos unsicher werden und sich verziehen. Die in ihrer Schuld und Scham allein vor ihm stehende Frau aber entlässt Jesus (ohne ihre Schuld zu verharmlosen) mit einem tröstlichen Mahnwort, das ihr eine neue Zukunft eröffnet: „Auch ich verurteile dich nicht; geh hin und sün- dige von jetzt an nicht mehr!“ Mit Recht gehört diese Episode zu den Perlen des Neuen Testaments. Ohne sie würde uns etwas

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