Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2
IM LAND DES HERRN 26 2/2022 liger Rechtslage untersteht sie aber weiterhin Juda, ihrem Schwiegervater. Er kann über sie bestimmen. Viele Jahre vergehen ... und es verändert sich gar nichts am Schicksal Tamars. Judas Frau ist gestorben und er macht sich auf den Weg nach Timna. Dies erfährt Tamar. Nun ergreift sie die Initiative. Sie erkennt, dass Juda ihr das Recht auf Kinder verweigert. Sie verkleidet sich als Dir- ne und setzt sich an die Straße – und sie hat sich nicht verrechnet. Juda möchte zu ihr kommen, hat allerdings keine entsprechende Entlohnung für ihre Dienste bei sich. Das Ziegenböckchen war der übliche Lohn. Tamar verlangt als Pfand: Schnur, Stab und Siegelring (heute würde man sagen: seinen Reisepass). Juda gibt ihr bereit- willig das Geforderte und der Text erzählt sofort, dass der Plan Tamars aufgeht: Sie wird schwan- ger. Zunächst kehrt sie aber zurück in das Haus ihres Vaters, zieht wieder ihre Witwenkleider an und spielt die ihr zugeteilte Rolle mit. Juda schickt seinen Freund, um „seine Papie- re“ wieder zu bekommen. Als sein Freund die vermeintliche Dirne nicht findet und somit die eingesetzten Dinge nicht wieder auslösen kann, fürchtet Juda das Gespött und Gelächter der Leute. Er fordert Stillschweigen von seinem Freund. Kurze Zeit später wird der veränderte Zustand Tamars offenkundig und dem Juda gemeldet. Nun hat er endlich die Gelegenheit, sich Tamars zu entledigen. Sein Urteil auf die vermeintliche Unzucht seiner Schwiegertochter lautet: Ver- brennung. Die Erzählung nimmt an Dramatik zu – sozusagen im letzten Moment rückt Tamar mit Judas Pfand heraus und zwar in aller Öffent- lichkeit. Er selbst soll schauen, wem Schnur, Stab und Siegelring gehören – sie gehören dem werdenden Vater. Juda kann nicht leugnen und muss zugeben, dass er ihr gegenüber im Unrecht ist, weil er ihr seinen jüngsten Sohn vorenthalten hat. Gott steht auf Tamars Seite. Dies wird durch die Tatsache sichtbar, dass das Ergebnis ihres Han- delns überaus fruchtbringend war: Zwillinge, noch dazu zwei Söhne. Kinder sind biblisch immer Zeichen des Segens Gottes. Damit wird Tamar ihrem Namen gerecht – bedeutet doch Tamar „Dattelpalme“ und die Dattelpalme galt als Symbol für Fruchtbarkeit. Diese Überlieferung zeigt einerseits, dass die Bibel kritisch auf die „Stammväter“ (hier Juda) schaut und diese nicht glorifiziert, andererseits, dass das tatkräftige und unkonventionelle Han- deln von Frauen zum Aufbau des Volkes Israel beigetragen hat. Wiederum wird hier Familien geschichte zur Volksgeschichte. Im Buch Rut wird sie erwähnt als jene Frau, die dem Juda den Perez geboren hat und auch der Evangelist Matthäus nimmt sie als eine von vier Frauen in seinen Stammbaum auf. Kurzinformation zu Rahab Das Buch Josua erzählt vom Einzug der Israeli- ten ins gelobte Land unter der Führung Josuas. Wie bei fast allen Texten der Bibel haben wir es hier nicht primär mit einer historischen Erzäh- lung zu tun, sondern mit gedeuteter Geschich- te: Gottes Geschichte mit seinem Volk. So lag z. B. zur Zeit der Landnahme die Stadt Jericho bereits in Trümmern. Es handelt sich dabei um eine Ätiologie = eine „Sage“, die deuten will, warum die Stadt in Trümmern liegt. Das Ereig- nis selbst wird in Jos 6 erzählt. Der Text ist frü- hestens im Exil, wahrscheinlich aber eher nach- exilisch entstanden – also mindestens 600 Jahre später als das „erzählte Ereignis“ selbst. Die Überschrift von Jos 2 in der Einheitsüber- setzung lautet „Die Kundschafter in Jericho“ – hier wird das Verschweigen von Frauen deut- lich, denn die eindeutige Hauptrolle des Textes hat Rahab, die auch namentlich genannt wird (die Kundschafter hier sind namenlos). Sie ist die Aktive, die die Fäden zieht und den positiven Fortlauf der Handlung bestimmt. Rahab wird im Hebräischen als „zonah“ bezeich- net, was sowohl Prostituierte heißen kann, aber auch Wirtin, Herbergsmutter. Fremde Männer können jedenfalls bei ihr einkehren. • Rahab als Nicht-Israelitin versteckt die Kund- schafter auf dem Dach und bewahrt sie damit
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