Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2

IM LAND DES HERRN 28 2/2022 dort wäre sie Verräterin. Aber das ist nicht die Position dieses Bibeltextes. Dieser schreibt aus der Perspektive der Israelitinnen. Jos 6,22–25 erzählt davon, dass nach dem Ein- sturz der Mauern von Jericho Rahab, ihre Familie, ihre Verwandtschaft und ihr Besitz gerettet werden. Sie wird zuerst außerhalb des Lagers geführt. Dann aber wird von ihr gesagt, dass sie einen Platz mitten in Israel bekommen hat und ganz aufgenommen wird ins israeliti- sche Volk. In der christlichen Traditionsgeschichte hat Rahab einen besonderen Stellenwert: Sie wird vom Evangelisten Matthäus in seinen Stamm- baum aufgenommen, wird aber auch im Heb- räerbrief als eine der großen Glaubenszeugen erwähnt (Hebr 11,31) und ebenso im Jakobus- brief – hier rangiert sie neben Abraham als zwei- tes Beispiel dafür, dass es Glauben ohne Werke nicht geben kann (Jak 2,25). Kurzinformation zum Buch Rut Das Buch Rut ist das Frauenbuch der Bibel. Die Bedeutung der Frauen wird bei näherer Betrach- tung offensichtlich: • Werden üblicherweise die Frauen über die Männer definiert, so ist es hier umgekehrt. Eli- melech ist „der Mann Noomis“ (1,3). • Die Hauptpersonen sind zu Beginn drei, dann zwei Frauen. • Rut und Orpa sollen zurückkehren zu ihren Müttern (1,8; üblicherweise wird das Haus der Väter genannt). • Als Frauengruppen werden in diesem Buch die Frauen Betlehems (1,19; 4,14), die Mägde des Boas (2,8.23) und die Nachbarinnen erwähnt (4,17). • Es werden Frauen der Vorzeit – Rahel, Lea und Tamar – als jene aufgezählt, die das Haus Israel aufgebaut haben (4,11–12). • Die Nachbarinnen sagen am Ende: „Der Noomi ist ein Sohn geboren.“ – und sie sind es auch, die dem Kind den Namen geben: Obed. (4,17) • Über Rut heißt es am Ende, dass sie mehr wert ist als sieben (!) Söhne . (4,15) Das Buch Rut erzählt aus der Zeit der Richter, allerdings ist es vermutlich erst nachexilisch ent- standen. Es ist keine „historische“, sondern eine beispielhafte Erzählung über das Gelingen von Familien- und Volksgeschichte unter Gottes Füh- rung. Frauen und ihre Beziehungsnetze spielen dabei eine wichtige Rolle. Das Kind Obed (der Großvater Davids) ist das sichtbare Zeichen für Gottes Dasein, der seinem Namen „Jahwe“ (Ich bin da) gerecht wird. Als Urgroßmutter Davids nimmt der Evangelist Matthäus sie in seinen Stammbaum auf. Die Namen sprechen in diesem Buch für sich: Noomi / Mara die Liebliche / Bittere Rut Freundin, Gefährtin Orpa die sich Abwendende („Nacken“) Elimelech Mein Gott ist König Machlon Krankheit, Unfruchtbarkeit Kiljon Schwäche, Schwindsucht Boas In ihm ist Kraft Obed Diener, Knecht (Jahwes) Betlehem Haus des Brotes Moab vomVater (= Bruder- und Schwestervolk) Das Verhältnis der drei Frauen – Noomi mit ihren beiden Schwiegertöchtern Rut und Orpa – zueinander wird als sehr innig und wohl­ wollend beschrieben. Die bekanntesten Worte aus dem Buch Rut „Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. Der Herr soll mir dies und das antun – nur der Tod wird mich von dir scheiden.“ (1,16–17) werden bedauerlicher- weise meist bei Hochzeitsfeiern verlesen und somi t völ l ig aus dem ursprüngl ichen Zu- sammenhang gerissen. Freundschaft und Soli- darität unter Frauen ist der Kontext dieser Aus- sage. Durch das Versprechen Ruts bindet sie sich mit ihrem Leben an die ältere Frau. Rut tut in dem ihr fremden Land etwas für ihrer beider Lebensunterhalt. Dabei kommt sie – ohne es zu wissen – auf das Feld eines Ver- wandten Noomis. Später wird dies interpretiert

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=