Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2
34 2/2022 IM LAND DES HERRN Vera stammt aus unserer katholischen Pfarrei in Betlehem und lehrte nach ihrem Studium für 20 Jahre an der „Bethlehem-University “ eng- lischsprachige Literatur. 2010 wechselte sie an die „Roman Catholic High Scool“ in Bet Sahour – die Schule steht unter der Leitung der grie- chisch-katholischen Kirche (Melkiten). Damit war sie hier die erste Frau als Direktorin. Doch diese Zeit als Direktorin dauerte nicht lan- ge. 2010 war auch das Jahr, in dem die „Kommu- nalwahlen“ wegen politischer Wirren abgesagt wurden. In Palästina haben diese Wahlen viel mehr Gewicht als bei uns – die konkrete Politik vollzieht sich vor Ort. Vera erinnert sich noch ganz genau an jenen Oktobertag im gleichen Jahr, als völlig überra- schend ein Brief der Fatah-Fraktion bei ihr ein- traf: „… wir bitten Sie um die Führung des Fatah- Blocks in Betlehem mit ausdrücklicher Billigung von Yassir Arafat…“ Sie unterrichtete sofort den melkitischen Bischof in Jerusalem, der ihr eine Vision mitgab: die Leitung der Schule in Bet Sahur, das ist eine Mission. Eine andere, höhere Mission ist das Bürgermeisteramt in Betlehem. Und er fügte hinzu: auch wenn es ihr schwerfällt, sie möge an die Jungfrau Maria denken, die ihr „Ja“ gab. Und beide wussten wie schwierig ihr Amt werden würde: 27 % Arbeitslosigkeit, die völ- lige Abhängigkeit von israelischer Willkür an der Trennungsmauer, die Einengung des Siedlungs- raumes durch israelische Siedlungen. Die Wahlen laufen in zwei Durchgängen: zuerst wählen alle wahlberechtigten Bürger, im zweiten Wahlgang entscheidet dann die Sitzmehrheit der politischen Blöcke. Es sei noch hinzugefügt, dass es eine Abmachung gibt, wonach die ehemals christlichen dominierten Städte (Betlehem, Bet Jala, Bet Sahur, Ramallah, Zababdeh, Taybe und Al Bireh) nach wie vor einen christlichen Bür- germeister haben müssen. Man muss sich ver- gegenwärtigen, dass in der gewaltig expandieren- den Stadt Ramallah gerade noch 1000 Christen gezählt werden. Im Distrikt Betlehem zählt man 35.000 Christen unter den 210.000 Einwohnern. Völlig überraschend gewann Vera Baboun; der Fatah Block hatte eine Sitzmehrheit erreicht. Ich fragte Vera zu denWiderständen imWahlgesche- hen; es waren erstaunlich wenige und kamen zumeist von christlichen Mitbewerbern. Vera erinnerte auch daran, dass in der palästi- nensischen Regierung immerhin 3 von 26 Minis- terien von Frauen geleitet werden: Tourismus, Gesundheit und Frauenministerium (!). Wir sehen hier, dass Palästina nicht das typische ara- bische Land ist, in der die Rolle der Frau noch ausschließlich auf das Haus beschränkt ist. Vera Baboun bei der Begrüßung des Kustos des Heiligen Landes in Betlehem © Marie-Armelle Beaulieu-Archiv CTS
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