Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2
36 2/2022 er Mensch ist ein visuelles Wesen, des- halb spielen Bilder auch in den Religio- nen eine wichtige Rolle. Doch gerade die monotheistischen Religionen stehen kritisch zu Bildern im sakralen Bereich: „Du sollst dir kein Kultbild machen“ – so heißt es in beiden Fassun- gen des Dekalogs in der Tora (Ex 20,4; Dtn 5,8). Das biblische Bilderverbot bezieht sich somit keineswegs auf ein allgemeines Kunst- und Bil- derverbot, sondern es geht um das Verbot, mate- rielle Kultbilder von Gott oder Gottheiten anzu- fertigen und diese kultisch zu verehren. Dieses Verbot steht in engem Zusammenhang mit der prophetischen Forderung, ausschließlich Jhwh anzubeten, und mit dem sich allmählich heraus- bildenden monotheistischen Bekenntnis (vgl. Dtn 6,4). Außerdem geht es um die Betonung der Unverfügbarkeit und Transzendenz Got- tes. Damit unterscheidet sich die israelitische Religion fundamental von den anderen Religio- nen des alten Orients und des Mittelmeerraums (römische und griechische Religionen). Jesus und das Neue Testament setzen das Bil- der- und Fremdgötterverbot der Tora selbst- verständlich voraus, ebenso die für das dama- lige Denken revolutionäre Vorstellung, dass der Mensch – und zwar jeder Mensch, nicht nur der Pharao, Kaiser oder König – das eigentliche Bild oder Abbild Gottes darstelle (vgl. Gen 1,26). Die Ebenbildlichkeit bezieht sich dabei nicht auf die äußere Gestalt, sondern auf die besondere Wür- de und Verantwortung des Menschen für sein Handeln. Paulus bezeichnet Jesus Christus als „Ikone“ Gottes (2 Kor 4,4; Kol 1,15), das heißt, Gott selbst ist gegenwärtig und offenbart sich in ihm. Der in einem Kultbild nicht darstellbare trans- zendente Gott wird erfahrbar in menschlichem Fleisch, im Juden Jesus. Noch Jahrhunderte lang blieb das Christentum dem biblischen Bilderverbot im strengen Sin- ne treu. Erste Kultbilder ent- stehen aus den Totenportraits christlicher Märtyrer. Ab dem Jahr 400 etwa entstehen in den Kirchen Bildprogramme, ab dem 6. Jahrhundert kam die Ikonenmalerei auf, die im 8./9. Jahrhundert zum byzan- tinischen Bilderstreit führ- te: Sind die Bilder nicht ein Verstoß gegen das biblische Bilderverbot? Doch die Bil- derstürmer setzten sich nicht durch, die Ikonenverehrung wird sogar zu einem der zent ralen Merkmale ostkirchli- Bilder und Bilderverbot in den monotheistischen Religionen Dr. Andreas Renz D Christus (Pantokrator), Deësis-Mosaik in der Hagia Sophia, Istanbul – Das hervorragende Mosaik war über Jahrhunderte von einer Putzschicht überzogen © Petrus Schüler
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