Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 2
2/2022 37 cher Spiritualität bis heute. Die Befürworter der Bilder argumentierten theologisch und päda- gogisch: Wenn Gott Mensch geworden ist, dann kann und darf er in diesem Menschen dargestellt werden und wer Christus sieht, sieht Gott. Die Ikone ist sichtbares Wort Gottes, vor allem für diejenigen, die nicht lesen konnten. Die Reformation stand den sakralen Bildern wie- der kritisch bis ablehnend gegenüber, weil man darin Götzendienst und einen Verstoß gegen das biblische Bilderverbot sah. Bilder wurden aus den Kirchen vielerorts entfernt oder zerstört. Die Gegenreformation in den katholischen Gebieten dagegen ist in Form des Barock von einer wah- ren Bilderflut gekennzeichnet, in der plastische und gemalte Bilder zusammenwirken. Erst im 20. und 21. Jahrhundert ist wieder eine Reduk- tion und Abstraktion des sakralen Bildes auch im katholischen Raum festzustellen. Wie kaum eine andere Religion wird schließ- lich der Islam mit einem radikalen Bilderverbot assoziiert. Umso mehr verwundert es, dass im Koran selbst kein explizites Bilderverbot zu fin- den ist. Dies ist umso erstaunlicher als es meh- rere Gebotsreihen im Koran gibt, die sich deut- lich an den biblischen Dekalog anlehnen (vgl. Sure 6,151–152; 60,12), aber gerade das biblische Bilderverbot nicht enthalten. Lediglich indirekt lässt sich die Abscheu vor Götterbildern fin- den, nämlich in der Geschichte von Abraham, der die Götzenstatuen seines Vaters im mono theistischen Eifer zerstört (vgl. Sure 21,51–71) – ein Erzählstoff, der der nachbiblischen jüdischen Tradition entnommen ist. Nach der Sunna, der prophetischen Über- lieferung, soll Muhammad ähnlich wie Abraham gehandelt haben, nachdem er die Kaaba in Mekka für den Islam eingenommen hat und dort 360 Götterstatuen eigen- händig zerschlug. Die theologische Begründung ist dieselbe wie in der Bibel: Es soll vermieden werden, dass der Mensch selbst gemachte Bilder oder Sta- tuen anbetet, verehrt oder zu magischen Zwecken gebraucht. Tatsächlich ist aus der gesamten isla- mischen Welt von den Anfängen bis zur Gegen- wart keine einzige bildliche Darstellung Gottes bekannt: Die theologische Betonung der Trans- zendenz und Unvergleichlichkeit Gottes („Nichts ist Ihm gleich“, Sure 42,11), sicher auch in bewuss- ter Abgrenzung zum christlichen Glauben an die Inkarnation Gottes (vgl. Sure 112), ließ in dieser Hinsicht keine Spielräume oder Ausnahmen zu. Bekannt ist, dass die arabische Kalligraphie eine Art Bilderersatz in der islamischen Kunst dar- stellt: Die kalligraphische Darstellung der Namen Gottes und des Wortes Gottes ersetzte hier die figürliche Kunst und wurde zu dem Kennzeichen sakraler Kunst im Islam. Die Kalligraphie wurde im Islam zu dem, was im Christentum die Ikono- graphie ist: Verweis auf die Gegenwart des Gött- lichen in der irdischen Welt. In den Moscheen gibt es außer den Kalligraphien und abstrakten geometrischen oder floralen Mustern (Arabes- ken), die die Unendlichkeit und Vollkommenheit Gottes symbolisieren, keine figürlichen Bilder. Das Wort Gottes ist nach christlichem Glauben Mensch geworden, der wiederum Abbild des Schöpfergottes ist. Nach islamischem Glauben ist das Wort Gottes dagegen „Schrift geworden“, sodass es nahe liegt, dass sich die künstlerische Darstellung und Vergegenwärtigung des Offen barungs- und Heilsereignis hier auf das ver- schriftlichteWort konzentriert. Zerstörte menschliche Gestalten auf den Mosaiken von Umm er-Rasas, Jordanien © Petrus Schüler Bilder und Bilderverbot Bilder und Bilderverbot
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