Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 3

IM LAND DES HERRN 10 3/2022 politischen Unabhängigkeit, den wachsenden Bedürfnissen der Oberschicht und einer zuneh- menden Ausdifferenzierung religiöser Praktiken eine spezifisch palästinisch-jüdische materielle Kultur entwickelt. Gut zwei Generationen später beginnt dieser Prozess bei den Nabatäern und gipfelt im frühen 1. Jh. n. Chr. in der Monumen- talarchitektur Petras. Die Bedeutung dieser sich ausbildenden, regio- nalen, kulturellen Zonen wird durch eine Reihe von Faktoren relativiert, die stets mit zu beden- ken sind. Zunächst ist damit zu rechnen, dass die Bevölkerungsverhältnisse trotz weitgehender Immobilität nicht statisch waren. Vor allem seit Mitte des 2. Jhs. v. Chr. hat eine beträchtliche Wanderungsbewegung von jüdischen Bevölke- rungsgruppen vonWesten nach Osten eingesetzt, die sich im Zuge der hasmonäischen Expansion seit dem Ende des 2. Jhs. v. Chr. in Gebieten ansie- delten, die zuvor von „Arabern“ oder „Syrern“ besiedelt waren. Im eher ländlich geprägten Ost- jordanland führte dies zur jüdischen Aufsiedlung von Teilen der fruchtbaren moabitischen Hoch- ebene, die später unter dem Namen „Peräa“ Teil des hasmonäisch-herodianischen Reiches war. In Städten wie etwa Gadara oder Gerasa kam es zur Entstehung jüdischer Diasporagemeinden. Trotzdem ist fraglich, ob selbst in Peräa die Mehr- heit der Gesamtbevölkerung jemals jüdisch war (von lokalen Schwerpunkten einmal abgesehen), sodass wir seit ca. 100 v. Chr. mit einem hohen Grad an Neben- und Miteinander unterschied- licher, aber miteinander verwandter Kulturen in der Region östlich des Toten Meeres zu rechnen haben. Ferner ist darauf zu achten, dass die im Entstehen begriffenen kulturellen Zonen Judäa, Nabatäa und Syrien/Dekapolis in sich selbst alles andere als homogen waren. Regionale und lokale Unterschiede spielen auch hier durchweg eine große Rolle. So sorgen z. B. regionale, zuweilen sehr alte Traditionen von Hausbau oder Kera- mikproduktion dafür, dass bestimmte Merkmale die „Grenze“ einzelner kulturell-ethnischer oder politischer Zonen überschreiten können und dann nicht mehr einer bestimmten Ethnie klar zuweisbar sind. Die Regionalität materieller Kul- tur – etwa im Hinblick auf die Formgebung von Gebrauchskeramik – beginnen wir erst langsam zu verstehen, ihre Bedeutung wird mit zuneh- mender Forschung vermutlich eher noch deut- licher hervortreten. Schließlich ist zu betonen, dass weder die drei kulturellen Zonen für sich, noch diese in ihrer Gesamtheit gegenüber Ein- flüssen von Außen unzugänglich waren. Seit Ale- xander und den Diadochenreichen Syrien und Ägypten wuchs der Einfluss griechischer Kultur auf den gesamten Ostteil des Mittelmeergebietes, der seit Pompeius um die spezifisch römische Variante erweitert wurde. Hellenistischer Einfluss war in positiver wie negativer Weise Stimulans für die Entwicklung regionaler Kulturen, aus- zublenden war er jedoch nicht. Die Region am Toten Meer partizipierte wie auch alle anderen Regionen der syrisch-palästinischen Landbrücke an diesem Trend, wobei gerade auch hier die individuelle Weise des Umgangs für die einzelnen Zonen charakteristisch ist. Noch ein paar Bemerkungen zur natür- lichen Umwelt. Paläobotanische Unter- suchungen haben gezeigt, dass die regio- nale Vegetation in der Antike weit vielfäl- tiger war als heute. Abgesehen von Tama- risken, Zypressen und Akazien, die der Dürre widerstehen, sind andere Arten (Pappeln, Platanen, Weiden, Kapern- strauch, Feigen und Eichen) bezeugt, die eine andere, feuchte Umgebung oder leicht salziges Wasser brauchen. Archäo- Boden der Synagoge aus dem 5./6. Jh. n. Chr., die über mehreren Vorgängerbauten errichtet wurde  © Petrus Schüler

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