Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 3

IM LAND DES HERRN 14 3/2022 Der Rückzug des Meeres wirkt sich also unmit- telbar auf die 250 Mitglieder des Kibbuz aus. Sie leben von den Einnahmen der angeglieder- ten Betriebe. „Löhne mussten zum Teil redu- ziert werden. Einige Bewohner sind weggezogen. Heute müssen wir uns neu erfinden, damit En- Gedi wieder attraktiv wird.“, erklärt der frühere Manager, dem das Altern der Kibbuzbevölkerung Sorgen bereitet. Neue Infrastrukturen, neue Kul- turen, neue Partnerschaften: Es fehlt nicht an Ideen, eher an finanziellen Mitteln, um sie zu verwirklichen. Einmal spielte er mit dem Gedanken, den Staat zu verklagen. „Die da oben sind für dieses Desas- ter verantwortlich“, sagt er. Er gab diese Idee auf: „Niemand interessiert sich für das, was hier pas- siert. Knapp 1000 Leute sind betroffen. Auch wenn wir uns mit dem Kibbuz Mitzpe Shalem zusammengetan hätten, wäre unsere Stimme zu schwach gewesen. Das Tote Meer ist der Hinter- hof des Landes.“ Die beiden Kibbuzim nahmen also die 113 Millionen Euro Ausgleichszahlun- gen an, die 2018 vom Parlament verabschiedet wurden und an die Vorlage konkreter Projekte gebunden sind. Für Mitzpe Shalem sind 52 Mil- lionen Euro vorgesehen, für En-Gedi 24 Millio- nen. Auch wenn bisher nur drei Millionen ein- gegangen sind, um ein Pilotprojet für den Anbau von Mangobäumen und Weinstöcken zu finan- zieren, hofft Yariv Kita, dass seinem Nachfolger weitere Hilfen genehmigt werden, um das ehe- malige Spa in eine Jugendherberge umzubauen. Schon 2017 informierte Yariv Kita die israelische Tageszeitung „Haaretz“ über die bevorstehende Katastrophe. Heute ist er der Meinung, dass Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist, vor allem, weil die Entwicklung der Dolinen geographisch begrenzt ist. „Wir wissen, wo sich die Salzschich- ten befinden, die einstürzen können“, erklärt Eli Raz. Das Einzige, was wir noch nicht vorherse- hen können, ist, wann sich die Senklöcher bilden werden.“ Früher oder später wird En-Gedi noch eine Plantage mit Dattelpalmen verlieren, den- noch ist für Yariv Kita das Glas noch halbvoll: „Es kann nicht noch schlimmer werden“. Aber auch er könnte den Kibbuz verlassen – auch wenn er es nur zögernd zugibt. „Man kann mit Dolinen leben. Aber am schlimmsten ist es, nur noch über den Strand von Kalia an dieses einzigartige Meer zu gelangen. Die Menschen, die im Süden baden, merken nicht, dass sie nur in Verduns- tungsbecken baden.“ Wenn er das sagt, klingt er etwas verbittert. „Was mich am meisten depri- miert, ist, dass sich nichts ändern wird.“ Ein von Badegästen verlassener Badesteg illustriert die deprimierende Entwicklung des Standortes. Was ist ein Kibbuz? Ein Kibbuz ist eine Kollektivsiedlung, wie sie 1909 unter dem Einfluss von Juden russischer und polnischer Herkunft, Anhängern des sozia- listischen Zionismus, entstand. Die ersten Kib- buzim hatten basisdemokratische Strukturen und sahen eine kollektive und gleichberechtigte Organisation der Arbeit und der Einkommen vor. Seit den 1970er Jahren erlebt dieses Modell auf- grund von Privatisierungen, der Überalterung der Kibbuzniks und der zunehmenden Locke- rung der gemeinschaftlichen Beziehungen eine Krise. Seither wird versucht, mit einer libera- leren Ausrichtung zu überleben. 2020 lebten 88.000 Menschen, d. h. ein Prozent der Gesamt- bevölkerung in den 260 israelischen Kibbuzim. Das Meer aller Rekorde • Der am tiefsten gelegene Punkt der Erde: Das Tote Meer liegt im Jordangraben, einem Teil des Großen Afrikanischen Grabenbruchs. Sein Wasserspiegel befindet sich 433 Meter unter dem der anderenWeltmeere. • Das salzigste Wasser der Erde: Sein Salzgehalt liegt bei 27,5 %, der Durchschnitt der anderen Meere bei 4 %. Daher seine heilende Wirkung und ein einzigartiges Gefühl des Schwebens beim Baden. • Es schrumpft zusehends: Seit Beginn der 1960er Jahre hat es ein Drittel seiner Gesamt- fläche verloren, der Pegel sinkt um einen Meter im Jahr. Aus „Terre Sainte“ 1-2022 Die Übersetzung besorgte Frau Rose-Marie Eisenkolb

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