Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 3
IM LAND DES HERRN 32 3/2022 Je nach den Machtverhältnissen profitierte es von seiner privilegierten Lage oder litt darunter. Mit demWeihrauch steigen die Gebete, begleitet von der tiefen Stimme des Organisten. In der ers- ten Reihe lassen sich die Ministranten in ihren schneeweißen Chorhemden und roten Tala- ren leicht ablenken – wie alle Kinder der Welt. Nonnen, die hinter ihnen sitzen, ermahnen sie sanft. Für das Kyrie Eleison weicht das Arabische dem Griechischen. Die Kirche füllt sich nach und nach. Inmitten eines seit 2007 von der isla- mistischen Organisation Hamas kontrollierten Gebiets, das damals von Israel belagert worden war und vier Kriege mit 3500 Opfern durchlitt, wirkt sie wie ein kleines christliches Dorf. Die Hl. Messe geht weiter: Hochgebet, Vater- unser, Kommunion. Die Gläubigen stellen sich im Mittelgang auf, unter dem Blick des heiligen Hilarion, einem der bekanntesten Mönche aus Gaza, Schüler von Antonius dem Großen und Namensgeber des ältesten und größten Klosters Palästinas. Ein engagierter Hirte Die Hl. Messe geht zu Ende. Pater Gabriel Roma nelli verkündet das Programm der kommenden Woche, es ist ein dichtes Programm. Die Pfarrei organisiert Aktivitäten für Groß und Klein, Mann und Frau. Es gibt Theologiekurse, Einführungen in die Liturgie, aber auch Sport und Musik. Die- se Aktivitäten gehen auf das Jahr 2008 und den Beginn der Abriegelung zurück. Die Religions- führer lassen die Gläubigen nicht im Stich. Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem schickte P. Jorge Hernandez, einen dynamischen Pries- ter aus Argentinien. Er gehört dem Institut des fleischgewordenenWortes an, einem streng recht- gläubigen Orden. Er startete verschiedene Initia- tiven. So gründete er zur großen Freude der iso- lierten Gemeinde, die sich um ihre Zukunft sorg- te, eine Pfadfindergruppe. Seither schrumpft die christliche Bevölkerung nicht mehr so schnell. Sie wird sich vielleicht halten können. Mit seinem rundlichen Gesicht und scharfen Blick über seine Brille hinweg ist P. Gabriel der letzte Ankömmling einer Reihe unternehmungs- lustiger Priester. Auch er ist Argentinier, im Nahen Osten lebt er seit 26 Jahren, genau die Hälfte seines Lebens. In Gaza kam er 2019 an. „Ich lebe wie der Rest der Gemeinde, ich fühle mich belagert. Die Gläubigen können nicht ein- mal ihr Haus verlassen, um die Christmesse zu besuchen. Das letzte Mal war vor zwei Jahren“, erklärt er. Bis auf die kurze Grenze mit Ägypten im Süden des Gazastreifens kontrolliert Israel alle Zu- und Ausgänge des Gazastreifens und ver- gibt Genehmigungen nur tröpfchenweise, meist aus gesundheitlichen Gründen oder für eine Handvoll Arbeiter. Das ist ein unentbehrliches Ventil für ein Gebiet, in dem mehr als die Hälf- te der Erwerbsbevölkerung arbeitslos ist. Auf die schlechte Wirtschaftslage ist eine der höchsten Arbeitslosenquoten der Welt zurückzuführen. „Es ist nicht leicht, zur Minderheit zu gehören, in Gaza erst recht nicht. Aber die Kirche will prä- sent bleiben. Wir erstellen Facebook- undWhats- App-Gruppen, um ständig in Kontakt zu bleiben. Weder Corona noch der letzte Krieg haben die Pfarrei verschwinden lassen. Während der Pande- mie haben wir Theologiekurse und Singstunden organisiert, aber auch Gebete und sogar Lotto nachmittage, alles online. Beim jüngsten Krieg haben wir jeden Tag alle Familien angerufen und den Bedürftigen Getränke und Lebensmittel vor- beigebracht. Wir haben auch einzelne Familien in der Pfarrei beherbergt“, so P. Gabriel weiter. Politische Verhältnisse maßgebend für Schicksale Die Überwindung der beiden Krisen war schwer. Die Kirche hat jeden Sonntag Fahrten zum Meer organisiert. Gläubige, die sich zum Teil seit Mona- ten nicht gesehen hatten, konnten ihre Bezie- hungen wieder aufnehmen. „Wir haben hier eine spirituelle Rolle, aber auch eine menschliche“, so P. Gabriel. Nach der Hl. Messe treffen sich die Gläubigen zu einem Kaffee auf dem Kirchenvorplatz. Es ist ein Ritual, fast so wichtig wie die Liturgie. In der Men- ge, die wegen der Sonne blinzeln muss, steht ein
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