Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 3

IM LAND DES HERRN 8 3/2022 ihre Beliebtheit in der Bevölkerung ausmachte. Sie setzte sich für eine bessere Mädchenbildung ein und unterstützte vor allem karitative und kirchliche Bestrebungen. Im Ersten Weltkrieg galt ihre besondere Sorge den Verwundeten in den Lazaretten. Mit zu ihrem Engagement gehörten die Über- nahme von zahlreichen Schirmherrschaften von Gesellschaften und Vereinen. Wie ihr Gatte, war die Kaiserin evangelisch. Evangelische Vereine erfreuten sich daher besonderer Unterstützung. Besonders zu erwähnen ist die 1899 gegründete und bis heute bestehende Evangelische Frauen­ hilfe, die haushaltsnahe Tätigkeiten förderte aber Frauen auch zum Lesen der Bibel anhielt. Sie förderte auch die Errichtung von neuen Kir- chenbauten in den Berliner Arbeitersiedlungen. An der Seite ihres Mannes hatte sie viele reprä- sentative Auftritte in der Öffentlichkeit zu absol- vieren. Sie begleitete Wilhelm II. 1898 auch auf seiner Reise nach Palästina. Dort gründete sie die Kaiserin-Auguste-Victoria-Stiftung (Ölberg- stiftung), die 1910 auf dem Jerusalemer Ölberg ein deutsches Krankenhaus errichtete, was seit 1948 vom Lutherischen Weltbund getragen wird. Die Ölbergstiftung mit Sitz in Hannover ist heute noch Eigentümer der Anlage. Die Novemberrevolution 1918 brachte das Aus für das Kaisertum und die Monarchie. Reichskanzler Max von Baden verkündete – ohne dessen Zustim- mung – die Abdankung des Kaisers. Die Kaiserin ging mit ihrem Mann ins niederländische Exil zunächst nach Amerongen und dann 1920 in das Wasserschloss Doorn in der Provinz Utrecht. Die Revolution – die zur Einstellung all ihrer Tätig- keiten führte – hatte die Kaiserin nie verwunden. Sie lebte auch in Sorge um die eventuelle Ausliefe- rung ihres Mannes als Kriegsverbrecher, was ihre Gesundheit zunehmend beeinträchtigte. Sie starb an einem Herzleiden am 11. April 1921 und wurde im Antikentempel im Schlosspark von Sanssouci beigesetzt. Es war ein prunkvoller Aufzug der alten Eliten und der mehrere tausend Menschen nach Potsdam lockte, wie in einem zeitgenössi- schen Filmdokument zu sehen ist. Der Tod der Kaiserin stellte die noch jungeWeimarer Republik vor die Frage des Umgangs mit dem wilhelmini- schen Erbe. Deutschland war keine Monarchie mehr. Der abgedankte Kaiser Wilhelm II. und Kronprinz Wilhelm wurden daher von der Teil- nahme ausgeschlossen. Auguste Viktoria war eine konservative Frau und an einer Veränderung der sozialen und politi- schen Verhältnisse im Deutschen Reich nicht interessiert. Die Monarchie verkörperte für sie eine gottgewollte Ordnung. Sie war fromm erzo- gen, entfaltete eine weite Mütterlichkeit und hatte ein soziales Gewissen, was in vielfältigen Gaben von Almosen an Bedürftige seinen Aus- druck fand. Viele Kranken- und Armenbesuche – um die sie kein Aufheben machte – standen auf ihrem Programm. Sie war über 30 Jahre hin- weg eine populäre und beliebte Landesmutter mit großem karitativem Engagement mit einem Machtbewusstsein. Sie war die Vertraute ihres Ehemannes und durfte sich während des Ersten Weltkrieges wiederholt im Großen Hauptquartier aufhalten. Nicht verwunden hat sie die Zeitläufte bzw. das Ende der Monarchie und den damit ver- bundenen gesellschaftlichen Abstieg. 2018 wurden in einem Wandschrank im ehe- maligen Ankleidezimmer der Kaiserin im Pots- damer Neuen Palais versiegelte Bündel mit rund eintausend an sie adressierten privaten Briefen aus der Zeit zwischen 1883 und 1889 entdeckt. Diese stammen von engen Familienmitgliedern aus dem Haus Schleswig-Holstein-Sonderburg- Augustenburg, aber auch von der englischen Königin. Die Briefe sollten geöffnet und von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten mit dem Geheimen Staatsarchiv in Berlin wissen- schaftlich ausgewertet werden. Eine Edition in 2021 war geplant. Die preußische Geschichte muss sicherlich nicht neu geschrieben werden, doch der kleine Nachlass der Kaiserin, der sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kultur- besitz befindet, hätte eine Bereicherung erfah- ren. Doch die Briefe sind im Jubiläumsjahr noch nicht ausgewertet, weil noch nicht entschieden ist, ob die Briefe als Staatsnachlass der Monarchie oder als Hohenzollerischer Privatbesitz gelten. Übernommen aus „bruder-jordans-weg“, Heft 2/2022

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