2/2023 13 34x20 m – die Kuppel, 18 m hoch, ist für diese Zeit ein erstaunliches Unternehmen. Sie war der Geburt der Gottesmutter, die man in der Krypta verehrte, und damit der hl. Anna geweiht. Sie ist von den vielen Kirchen des Mittelalters im Heiligen Land eine der wenigen, die unversehrt erhalten blieb, und von ihnen wohl – zumindest für den nüchternen mitteleuropäischen Geschmack – die schönste. Daneben bestand ein Benediktinerinnenkloster, in das sich Königinnen und Prinzessinnen zurückzogen, aber nur die Kirche überdauerte die Zeiten. Ihre Erhaltung verdankt sie einem Dekret Saladins von 1192 nach der Einnahme Jerusalems. Es ist über dem Mittelportal angebracht und macht die Kirche zu einer muslimischen Koranschule. Seit dem Mittelalter war die Kirche somit für Christen unzugänglich. In der osmanischen Zeit schafften es die Franziskaner, wenigstens am Fest Mariä Geburt (8. September) gegen ein gutes Bakschisch in die Krypta der St.-Anna-Kirche zu gelangen und dort eine Messe zu feiern. Freilich blieb ihnen dabei der normale Weg durch die ehemalige Kirche – jetzt Koranschule – verwehrt, sie mussten sich durch ein schmales Fenster an der Südseite in die Krypta hinunterzwängen. (Man sieht dieses Fenster noch: wenn man in die Krypta hinabsteigt, rechts oben.) Ein aus heutiger Sicht positiver Nebeneffekt dieser muslimischen Nutzung ist, dass der Kirche Umgestaltungen des Barocks und der Romantik erspart geblieben sind. Nach der Schenkung an Frankreich (1856) und der Berufung der Weißen Väter wurde sie durch den Architekten C. Mauß mustergültig restauriert und ihrer ursprünglichen Bestimmung als Kirche zurückgegeben. 1967, bei der Eroberung der Altstadt durch Israel, wurde die Kirche beschädigt, konnte aber 1971 neueröffnet werden. Durch das Mittelportal von extremer, mönchischer Einfachheit tritt man in einen Raum ein, der beste Romanik mit Anklängen an die Gotik verbindet. Verzierungen fehlen zwar nicht ganz, sind aber so sparsam eingesetzt, dass man sie suchen muss. So ist die Kirche trotz ihrer drei Schiffe und der Kuppel von äußerster Schlichtheit – ein stilles Zeugnis dafür, wie unter den Kreuzfahrern das mönchische Armutsideal sehr wohl gepflegt wurde. Dazu passt der moderne Altar des französischen Bildhauers Philippe Kaeppelin (1954) gut. Er zeigt Szenen aus dem Marienleben: an der Vorderfront zwischen der Verkündigung (rechts) und der Geburt Jesu (links) den toten Jesus im Schoß seiner Mutter; an der rechten Seite die Darbringung Mariens im Tempel, Maria mit ihrer Mutter Anna auf der linken Seite. Neben der Optik, vielleicht noch mehr als diese, beeindruckt die Akustik der Kirche mit einem Nachhall von mehreren Sekunden. Aus einer Pilgergruppe wird im Nu ein Chor, und hat man das Glück, dort einen richtigen Chor singen zu hören, kann man sich kaum der Macht des gesungenen Gotteslobes entziehen. Im rechten Seitenschiff führen Treppen hinab in die Krypta. Diese, teils gemauert, teils aus natürlichem Fels, gilt mindestens seit Kreuzfahrerzeiten als Ort der Geburt Mariens. Kirche St. Anna Kirche St. Anna Maria Geburt, Krypta der St. Anna Kirche
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