Im Land des Herrn | 77. Jahrgang | 2023 - 2

2/2023 31 Jude sein Jude sein Hochzeit in der Russischen Kathedrale Jerusalem der Staat forderte dann von den Einwanderern, dass sich ihre Identität und ihr Leben in religiöse Kategorien einfügen. Nach dem jüdischen Recht („halakha“) muss ein Jude von einer jüdischen Mutter geboren oder durch eine ordnungsgemäße Konversion Jude geworden sein. Nach ihrer Ankunft in Israel entdeckten diese „Russen“, dass sie nach den Kriterien der israelischen Behörden keine Juden waren: Fast ein Drittel der Einwanderer der ehemaligen Sowjetunion (ca. 300.000) wurden als Nicht-Juden registriert. Dies scheint paradox zu sein. Das stimmt. Das Aufeinandertreffen zwischen der erlebten Identität mit den offiziellen Kategorien löst bei vielen von ihnen eine starke Dissonanz zwischen ihrem Selbstverständnis als Juden, ihren sowjetischen Wurzeln und der Unmöglichkeit, in Israel als Juden akzeptiert zu werden, aus. Das betrifft insbesondere die „Nicht-Juden“ der sogenannten „Generation 1,5“, das sind jene Israelis, die einen Teil ihrer Kindheit in der ehemaligen Sowjetunion verbrachten, bevor sie mit ihren Eltern nach Israel zogen. Obwohl sie als Staatsbürger gelten, ihre Pflichten dem Staat gegenüber erfüllen, in der Armee dienen, arbeiten, und wie alle anderen jüdischen Bürger Steuern zahlen, ist es ihnen nicht erlaubt, in Israel zu heiraten. Sie müssen standesamtlich im Ausland heiraten und dann ihre Ehe vom israelischen Standesamt anerkennen lassen. Auch eine jüdische Bestattung bleibt ihnen verwehrt. Diese „Generation 1,5“ hat eine ganz andere Auffassung von ihrer Identität. Sie fühlt sich nicht vollständig jüdisch, auch wenn sie schon 25 Jahre in Israel verbracht hat. Hatte diese Migrationswelle Konsequenzen für den Aufbau des Staates? Und hat sie immer noch welche? Ja, auf verschiedenen Ebenen. Da die „Russen“ 15 % der israelischen Bevölkerung bilden, haben sie den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich der israelischen Gesellschaft geprägt und deren Konturen verändert. Sie haben ihre Vorliebe für Kultur und Sport mitgebracht, auch ihre laizistische Auffassung vom Staat – mit der Öffnung der Geschäfte während des Sabbats und dem Verkauf von nicht-koscheren Lebensmitteln. Viele Beobachter werfen der russischen Gemeinschaft vor, bei den Wahlen den Trend nach rechts verstärkt zu haben, u. a. weil die Zweifel an ihrem Jüdisch-Sein die Angst vor einer Schwächung der jüdischen Identität des Landes schüren. Aus „Terre sainte“, die Übersetzung besorgte RoseMarie Eisenkolb

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