Im Land des Herrn | 77. Jahrgang | 2023 - 2

34 2/2023 Diese Radikalisierung in Wort und Tat begann mit dem Besuch von Papst Franziskus im Jahr 2014. Damals ging unter ultraorthodoxen Juden das Gerücht um, Israel wäre bereit, der Kustodie zwei heilige Stätten zurückzugeben: das Cenaculum und das Grab Davids. Zwischenfälle und Anfeindungen nahmen im Vorfeld des Papstbesuchs zu, ohne dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. Trotz einer starken Polizeipräsenz brach ein Feuer in der Dormitio-Abtei aus, kurz nachdem der Papst die Messe im Obergemach zelebriert hatte. Nicht einmal Friede, nur Ruhe Einige Monate später spitzt sich die Lage mit der Profanierung des evangelischen Friedhofs weiter zu. Ehrenamtliche des Jerusalem Intercultural Center beschließen zu handeln und rufen das Programm „Window to Mount Zion“ ins Leben. „Der Papstbesuch hat gezeigt, dass die Feindseligkeiten auf dem Berg Zion tiefe Wurzeln haben und dass die Polizei nicht richtig weiterhilft“, so Meret Stein, die das Projekt seit 2015 koordiniert. Sie setzt sich zum Ziel, die Zivilgesellschaft an der Wiederherstellung der Ordnung zu beteiligen, und gründet die Brigade der Gelbwesten. Diese besteht hauptsächlich aus jüdischen Israelis, die in der Erziehung oder in der Tourismusbranche tätig sind und die Spannungen bei verschiedenen christlichen Feiern auf dem Berg Zion abbauen wollen. „Da wir dieselbe Sprache wie die ultraorthodoxen Juden sprechen, sind wir imstande, einen Puffer zu schaffen und zu vermitteln“, erklärt Jared, der sonntags die Armenier zur Grabeskirche begleitet. „Was hier fehlt, ist gegenseitiges Verständnis.“ Der Verein setzt sich realistische Ziele: „Wir streben nicht nach Frieden, wir wollen nur Ruhe“, unterstreicht Merav Stein. Sie steht in regelmäßigem Kontakt mit den etwa zehn Gemeinschaften, die auf dem Berg Zion ansässig sind, und organisiert vierteljährliche Treffen, zu denen alle oder fast alle kommen. Diskutiert werden dann Fragen, die die alltägliche Pflege des Ortes bis hin zu weiterreichenden Problemen betreffen. Der Prozess ist langsam, voller Hindernisse. „Friede beruht auf dem politischen Willen und dem Einverständnis aller Beteiligten“, fügt Pater Athanasius hinzu. Er lebt im Franziskanerkloster beim Cenaculum. „Von Jahr zu Jahr gehen die Spannungen rund um das Osterfest zurück“, freut sich Merav Stein. 2020 fielen das jüdische und das christliche Osterfest zusammen. Niemand wurde verhaftet. Es gab nur ein paar Geldstrafen.“ „Merav und ihr Team leisten gute Arbeit“, gibt P. Athanasius zu. In ihrem Büro im Jerusalem Intercultural Center träumt Merav Stein von dem Tag, an dem der Berg Zion, der repräsentativ für die Vielfalt der in dreifacher Hinsicht heiligen Stadt ist, zu einem ebenso belebten Eingangstor zur Altstadt wird wie das Jaffator oder das Damaskustor. Aus „Terre sainte“, die Übersetzung besorgte Rose-Marie Eisenkolb Orthodoxer Jude beim Gebet am vermeintlichen Davids-Grab IM LAND DES HERRN

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