IM LAND DES HERRN 6 2/2023 Eine frühere Generation von Archäologen nahm an, dass eine intermittierende Quelle in dem Becken sporadisch die Bewegung des Wassers verursachte. „Intermittierend“ heißt so viel wie nur ab und zu sprudelnd. Beim nicht weit entfernten Teich Schiloach (vgl. Joh 9,7) zum Beispiel war das der Fall, aber für Bethesda rückt man wieder davon ab. Stattdessen geht man jetzt davon aus, dass der kleinere südliche Teil als Mikveh diente, als Reinigungsbad nach jüdischem Ritualgesetz also, das nicht nur, aber auch und vor allem von den Pilgerströmen an den großen Wallfahrtsfesten vor dem Tempelbesuch benutzt wurde. Das Wasser in einem Ritualbad musste selbst von Zeit zu Zeit gereinigt werden, und das geschah durch Zufuhr von frischem Wasser, in diesem Fall aus dem oberen Pool. Wenn dafür die Schleusen im Damm geöffnet wurden, geriet die Wasseroberfläche des Bades in Bewegung. Eine volkstümliche Erklärung Mit dieser rational-nüchternen Deutung gab sich der antike Volksglaube aber nicht zufrieden. Man brauchte ein Moment des Wunderbaren. Es wird geliefert in den Versen 3b und 4, die oben in eckigen Klammern stehen, weil sie sich nur in einer Reihe meist jüngerer Handschriften finden, nicht aber in den ältesten und zuverlässigsten. Ein Engel steigt gelegentlich herab und rührt das Wasser auf, entweder einzig zum Zweck des Heilens oder sogar, so allerdings nur ein kleiner Teil der Texte, indem er ein Bad nahm (wörtlich „er wusch sich“) und etwas von seiner numinosen Macht an das Wasser abgab. Letzteres ist sogar eine sehr charmante Vorstellung; sie evoziert das Beispiel von badenden Göttinnen und Nymphen in der griechischen Mythologie. In der heiligen Stadt Jerusalem, in streng jüdischem Milieu, konnte es natürlich nur ein Engel sein. Ausgrabungen Teich Betesda
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