Im Land des Herrn | 77. Jahrgang | 2023 - 3

3/2023 13 die Arbeiten am Tempel erst unter dem Prokurator Albinus (62–64 n. Chr.) abgeschlossen, also wenige Jahre vor der Zerstörung durch Titus im Jahr 70. Christliche Geschichtsschreiber pflegten früher drei Tempel zu unterscheiden, den salomonischen, den nachexilischen und den herodianischen Tempel. Bei den Juden ist es üblich geworden, nur von einem Ersten und einem Zweiten Tempel zu sprechen, vielleicht weil man dem Nicht-Juden Herodes nicht so viel Ehre antun will. Eine gewisse sachliche Rechtfertigung ist, dass vor Herodes ja keine Zerstörung eingetreten war und der Neubau sich weitgehend am Bisherigen orientierte. Die Maße des eigentlichen Tempels blieben die gleichen, nur die Vorhalle, also die Fassade, durfte Herodes auf 45 m Breite und ebensolche Höhe vergrößern, wenn man Flavius Josephus glauben darf. Vor allem aber ließ Herodes den Tempelplatz sowohl nach Norden wie nach Süden bedeutend erweitern. So bildet er bis heute ungefähr ein Rechteck mit ungleichen Seitenlängen: Die Westmauer ist 485 m lang, die Ostmauer 470 m; während die Nordmauer 315 m misst, sind es im Süden nur 280 m. Insgesamt umschließt der Tempelplatz 144.000 Quadratmeter. Damit ragt der Jerusalemer Tempelplatz weit aus den Heiligtumsbezirken der Antike heraus. Das erforderte in der gebirgigen Landschaft gewaltige Stützbauten, die an der Südseite bis über 50 m hoch sind. Die legendären Pferdeställe Salomos unter der Südostecke des Tempelplatzes (42 m hoch über dem Felsgrund) sind ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür. Sie haben mit Salomo nichts zu tun, sondern sind zwölf Reihen von Stützbogen, mit denen Herodes das Plateau des Tempelplatzes nach Süden ausdehnte. Im Mittelalter wurden hier tatsächlich Pferdeställe eingerichtet; die Löcher in den Pfeilern dienten zum Anbinden der Pferde des Templerordens. Gewaltig war auch der Wasserbedarf des Tempels; im 19. Jahrhundert, als manche Forschungen noch leichter möglich waren, hat man 37 Zisternen im Bereich des Tempelplatzes gezählt! Alle vier Seiten des riesigen Platzes waren mit Säulenhallen umgeben; die Königliche Halle lag auf der Südseite, die Halle Salomos auf der Ostseite, so dass sie Schutz vor kalten Wüstenwinden bot (Joh 10,23); sie scheint ein bevorzugter Platz der ersten Christen gewesen zu sein: „Alle kamen einmütig in der Halle Salomos zusammen“ (Apg 5,12; vgl. 3,11). Überhaupt spielte sich vieles, was wir im Deutschen ungenau dem Tempel zuschreiben, in den Höfen des Tempels ab. Die Bibel macht einen Unterschied zwischen dem Tempelhaus, der Wohnung Gottes, und dem Heiligen Bezirk mit seinen Höfen. Die Israeliten werden aufgefordert: „Kommt mit Dank durch seine Tore, mit Lobgesang in seine Höfe!“ (Ps 100,4) Die Unzuträglichkeiten mit den „Verkäufern von Rindern, Schafen und Tauben und den Geldwechslern“ konnten sich nur in diesen Höfen Tempelreinigung, Gemälde in der Certosa S. Martino, Neapel Tempelberg Tempelberg

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