Im Land des Herrn | 77. Jahrgang | 2023 - 3

28 3/2023 IM LAND DES HERRN den Zorn und Hass der Mächtigen erregen und schließlich seine Verurteilung als Gotteslästerer zur Folge haben. Mitten unter den Lehrern Die zweite „weihnachtliche“ Szene im Tempelbereich spielt rund zwölf Jahre später. Sie wird wieder von Lukas überliefert, der sie wohl in der vorhin schon erwähnten „Halle Salomos“ ansiedelt. Nach Lukas (2,41–52) begibt sich der zwölfjährige Jesus nach seiner ersten Osterwallfahrt nicht mit der Reisegruppe seines Heimatortes Nazaret auf den Heimweg, sondern bleibt, von seinen Eltern unbemerkt, im weitläufigen Tempelareal zurück. Nachdem Maria und Joseph das Fehlen ihres Sohnes in der Reisegesellschaft bemerkt haben, eilen sie in die Heilige Stadt zurück und suchen drei Tage lang nach Jesus. Lukas wörtlich: „… nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte ihnen Fragen.“ (Lk 2,46 f.) Es scheint, dass Lukas eine Synagoge (ein „Lehrhaus“) im Tempel voraussetzt. Die Historiker weisen darauf hin, dass eine solche Einrichtung nirgends bezeugt ist. Da in der griechischen Welt die „Säulenhalle“ (Stoa) der gewohnte Unterrichtsort war, dürfte Lukas bei seiner Schilderung an die „Halle Salomos“ gedacht haben, die schon vor ihrem Namen her (Salomo ist der sprichwörtlich weise König) mit Bildung und Gelehrsamkeit zu tun hat. – Die theologische Aussage, die Lukas mit seiner Erzählung untermauern will, lässt sich so formulieren: Jesus ist das fleischgewordene Wort Gottes, die menschgewordene „ewige Weisheit“. Deshalb gebührt es ihm, dass er seine erste Diskussion mit den Lehrern Israels nicht in der unbedeutenden Dorfsynagoge von Nazaret, sondern im weltberühmten Tempel der heiligen Hauptstadt führt. Übrigens wird Jesus in der vorliegenden Szene nicht als Schüler geschildert, der einem Lehrer zu Füßen sitzt. Er hat vielmehr als gleichrangiger Partner unter den Gelehrten seines Volkes Platz genommen. Im Hören, Fragen und Antworten offenbart er eine Einsicht in das Wesen und den Willen Gottes, der allenthalben Erstaunen erregt. Staunen muss auch Maria. Einerseits mag sie stolz sein auf die Weisheit ihres Sohnes. Andererseits aber spürt sie schmerzlich, dass Jesus dabei ist, sich von seinen Eltern zu lösen und den „Weg des Vaters“, den Weg seiner ganz persönlichen Berufung zu gehen. Was der greise Simeon angekündigt hat, beginnt sich zu erfüllen: Jesus kann es seiner Mutter nicht ersparen, dass sie über ihn Schmerz empfindet und prophezeit „und deine Seele wird ein Schwert durchdringen“ (Lk 2,35). Der 12-jährige Jesus lehrt im Tempel, Zwickelbild in S. Ignazio, Rom

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=