Im Land des Herrn | 77. Jahrgang | 2023 - 3

3/2023 31 bleiben, geschweige denn, sich dort niederzulassen. Denn die osmanischen Behörden bereiteten den Franziskanern immer größere Schwierigkeiten, so dass die Sicherheit der Pilger und der Heiligen Stätten schwer zu gewährleisten waren. Selbst ihre eigene Präsenz stand auf der Kippe. (Anm.: Die osmanischen Behörden legten die Dauer und die Bedingungen der Pilgerfahrt fest. Jede Kirche musste sich verpflichten, dass die Pilger diese beachteten.) Die Botschaft des Kustoden war eindeutig: Die Anwesenheit eines Freigeistes, dessen menschliches und kirchliches Profil so schwer einzuordnen und zu handhaben sei, sei problematisch und könne zu zusätzlichen Sorgen führen. Er habe die Großzügigkeit und die Leidenschaft des frisch Konvertierten gesehen. Dieser sei bereit, ein schlichtes Leben zu führen, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und in einem riskanten und heiklen Kontext um Almosen zu bitten. Er sei zudem bereit „den Seelen zu helfen“, habe aber dafür nicht die notwendige Qualifikation und Erfahrung. Da Ignatius von den ihn zu Vorsicht ermahnenden Argumenten nicht überzeugt zu sein schien, wies ihn der Kustode darauf hin, dass er ihn exkommunizieren könne und dass er dazu bereit sei, falls er auf sein Vorhaben nicht verzichten und ihm nicht Folge leisten sollte. Nach diesem kurzen Meinungsaustausch, der seinen lang gehegten, mit „Gottes Willen“ gereiften Plan zusammenbrechen ließ, wurde Ignatius von seinen Gefühlen überwältigt. Er war vollkommen perplex und seine Trauer abgrundtief. Ein paar Stunden bevor er die Stadt verließ, war seine Bestürzung am größten. Er suchte noch nach einem geeigneten Weg, sich nicht nur von Jerusalem zu verabschieden, sondern auch von dem „neuen Leben“, das er geplant hatte. Die letzten Stunden waren sehr ereignisreich. Ignatius verließ seine Gruppe, um sich allein zur Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg zu begeben und sich an demselben Ort vom Heiligen Land zu verabschieden wie der Auferstandene von seinen Jüngern. Dieser Wunsch zur Hingabe überkam ihn zweimal. Denn für ihn war es von entscheidender Bedeutung, dieses Heiligtum zu besuchen, um in seinem erzwungenen Abschied Frieden zu finden. Er wollte die Kirche betreten und den Stein sehen, auf den Christus vor seiner Himmelfahrt Spuren eingedrückt hatte. Als letztes Bild von seiner Pilgerfahrt wollte Ignatius die Richtung mitnehmen, in die diese Spuren zeigten. Sie wäre ein Zeichen der Orientierung, die er nun seinem Leben geben sollte. Wie sollte er Gott dienen und gleichzeitig seinen Platz in der Geschichte der Menschheit finden? Nach einer Reihe von Wendungen kristallisierte sich die Antwort nach und nach heraus. Die Gesellschaft Jesu wurde 1540, nach einem zweiten erfolglosen Versuch, mit ein paar Gefährten ins Heilige Land zu pilgern, gegründet. Auch diese hegten denselben Wunsch wie Iñigo früher. 1540 war Ignatius von Loyola aber ein zutiefst anderer Mensch geworden, auch wenn er immer noch mit den Orten in Kontakt stehen wollte, an denen Jesus in seinem Herzen gegenwärtig war. „Als man im Kloster erfuhr, dass er sich ohne Führer aufgemacht hatte, trafen die Mönche Maßnahmen, um ihn zu suchen. Als er vom Ölberg hinabstieg, traf er auf einen Gürtelchristen (Anm.: ,Gürtelchristen‘ hießen die christlichen Syrer, deren Gewand von einem dunklen Gürtel zusammengehalten wurde, der in einer moslemischen Umgebung zugleich als Erkennungszeichen diente), der im Kloster Dienst tat. Dieser machte mit Anzeichen großer Wut Anstalten, ihn mit einem großen Stock zu schlagen. Als dieser ihn erreichte, packte er ihn heftig am Arm; er aber ließ sich widerstandslos fortführen. Doch der gute Mann ließ ihn nicht mehr los. Während er so an der Seite des Gürtelchristen auf dem Weg ging, empfing er vom Herrn große Tröstung. Es schien ihm, als sehe er Christus immer über sich. Und die dauerte in überreichem Maße an, bis sie wieder zum Kloster gelangten.“ Quelle: Bericht des Pilgers, übers. und hrsg. v. Michael Sievernich, Wiesbaden: Marixverlag 2006, Nr. 48. Aus „Terre sainte“ Juli/Aug. 2023, die Übersetzung besorgte Rose-Marie Eisenkolb Ignatius von Loyola Ignatius von Loyola

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