Im Land des Herrn | 78. Jahrgang | 2024 - 2

2/2024 27 er von der Bibel spricht und dabei Wendungen gebraucht wie „in der Bibel steht“ oder „nach der Bibel muss man im vorliegenden Fall Folgendes tun“, der erweckt leicht den Eindruck, unsere Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes sei ein systematisches Lehrbuch, verfasst von einem gütigen und weisen Gott, der einer führungsbedürftigen Menschheit heilsame Gebote und Mahnungen erteilt hat. Natürlich kann man die Bibel so sehen, aber wer sie näher kennt, der weiß, dass diese Sicht sehr verkürzt ist. Die Bibel ist kein Gesetzbuch und kein Ratgeber für die „Menschheit allgemein“, sondern sie ist eher eine Sammlung von religiösen Erfahrungen, die einzelne Menschen mit ihrem Gott gemacht haben und von denen sie ihren Brüdern und Schwestern im Glauben berichtet haben. Solche Zeugnisse, die zunächst nur mündlich überliefert wurden, hat man später aufgeschrieben und mit weiteren theologischen Deutungen angereichert. In der vorliegenden neuen Artikel-Serie wollen wir uns mit einzelnen biblischen Gestalten beschäftigen und ihre Rolle im Heilsplan Gottes bedenken. Je älter diese Gestalten sind, desto weniger sind sie für uns historisch fassbar. Das gilt in besonderer Weise von den „Stammeltern der Menschheit“, von Adam und Eva, mit denen wir beginnen. Sie sind Idealfiguren, an denen grundlegende Aussagen über den Menschen festgemacht werden und an denen theologische und moralische Probleme diskutiert werden, die bis heute aktuell sind. Adam und Eva waren der Christenheit zu allen Zeiten bekannt und beliebt. Denn sie verkörpern „Frau und Mann schlechthin“. Jede und jeder kann sich in ihnen erkennen und von ihnen lernen. Adam Das hebräische Wort „Adam“ wird von „adamah (rote, zum Ackerbau geeignete Erde)“ hergeleitet. Gewöhnlich übersetzt man es mit „Mensch“, d. h. Adam ist weniger ein Eigenname (das scheint er aber gelegentlich auch zu sein!) als vielmehr ein Gattungsname. Wer von Adam spricht, meint also nicht so sehr eine bestimmte Persönlichkeit als den Menschen schlechthin. „Mensch“ hängt also sprachlich mit „Erdboden“ zusammen (die Lateiner mögen sich an die Verwandtschaft von homo und humus erinnern): die Bibel drückt das ganz anschaulich aus, indem sie sagt: „Gott, der Herr, formte den Menschen aus Erde vom Ackerboden ...“ (Gen 2,7). Eine theologische Zwischenbemerkung Die eben zitierte Aussage steht – so belehren uns die Fachleute – im „älteren Schöpfungsbericht“. – Was heißt das? Nun, wer aufmerksam die ersten zwei oder drei Seiten seiner Bibel anschaut, wird feststellen, dass uns die Erschaffung der Welt und des Menschen zweimal erzählt wird. Da ist zunächst das bekannte Sechstage-Werk, bei dem es am sechsten Tag heißt: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild ... als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,27). – Und dann folgt im zweiten Kapitel die Vorstellung des Paradieses, in das der Mensch hineingeschaffen wird, „damit er es bebaue und hüte“ (Gen 2,15). Kritische Untersuchungen haben ergeben, dass der an zweiter Stelle stehende „Schöpfungsbericht“ der ältere ist. Er ist das Werk eines jüdischen Theologen, der um 950 v. Chr. gewirkt hat, und der ein Meister in der Kunst des Erzählens war. Was er über das Paradies, die ersten Menschen und ihren Sündenfall schreibt, ist so lebendig und einprägsam, dass es zu einem Stück Weltliteratur geworden ist. Der Schöpfungsbericht im ersten Kapitel hat diesen Zauber nicht. Er stammt aus priesterlichen Kreisen und wurde um 550 v. Chr. im babylonischen Exil verfasst. Er will weniger anschauliche Erzählung als theologische Unterweisung sein. Auf diesem Gebiet leistet der „jüngere Schöpfungsbericht“ allerdings Hervorragendes: er stellt u. a. die Unvergleichlichkeit und Souveränität des wahren Gottes und die Gottebenbildlichkeit des Menschen heraus. W Adam und Eva Adam und Eva

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