3/2024 35 gebracht waren. (Im Görlitzer Ratsarchiv ist die Stiftung eines roten Messgewands – mit allem Zubehör wie Stola und Manipel – für den 6. April 1490 belegt, dass nach dem Tod des bedachten Priesters der Kreuzkapelle zufallen sollte.) Die Kreuzkapelle ist mit ihrem spitzen Dachreiter das weithin sichtbare Erkennungszeichen des Görlitzer Ensembles und prangt über Jahrhunderte auf allen möglichen Stadtansichten. Das nach Osten abgewalmte Satteldach erhebt sich bis zu einer Firsthöhe von 17 Metern. Die Kapelle ist in zwei Geschosse geteilt. Das Innere der unteren Kapelle (Adamskapelle) ist niedrig und mit einem gotischen Netzgewölbe überfangen. Sie erinnert in ihrer bedrückenden Enge an Tod und Grab. Unter der von außen zu nutzenden Treppe ins Obergeschoß befindet sich seitlich ein kleiner fensterloser Raum im Mauerwerk. Soll er das Gefängnis Jesu in der Nacht des Verhörs symbolisieren, oder ist es das Grab Adams? Im oberen Teil der Kreuzkapelle liegt die Golgatha-Kapelle. Der Legende nach stand das Kreuz an dem Platz, an dem man das Grab Adams verortete. So wird in der Jerusalemer Grabeskirche wie auch hier in Görlitz architektonisch verdeutlicht, was Paulus in seinem Korintherbrief so ausdrückt: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.“ (1 Kor 15,22) Licht kommt von kleinen Maßwerkfenstern. Hinter dem Blockaltar an der Ostwand ist sichtbar ein mehrere Zentimeter klaffender, unregelmäßig verlaufender Mauerspalt, der sich über die ganze Wand von oben bis unten erstreckt, eingefügt, um an die Erderschütterung zur Todesstunde Jesu zu erinnern, bei der sich der Felsen spaltete (Mt 27,51). Der Spalt ist von außen im steinsichtigen Mauerwerk der Ostwand augenfällig, verläuft durch die innen gestaltete Steinschwelle, ist dort durch eine längliche Öffnung in der Schwelle zu sehen und endet in der darunter liegenden Adamskapelle, hier auch von innen gut sichtbar. Der in Jerusalem überbaute natürliche Golgatafelsen ist in Görlitz durch eine Steinschwelle nachgebildet. Drei runde Vertiefungen in dieser Schwelle markieren die Orte, an denen das Kreuz Jesu und die der beiden Schächer an seiner Seite gestanden haben. Ein Bodenloch ist in der nordöstlichen Ecke des Raums mit einem Altartisch überbaut. Auffällig an der Görlitzer Kreuzkapelle ist, dass sie über den gewollten Mauerspalt hinaus an mehreren Stellen unvollkommen erscheint. Durch die außen angeordnete Treppe nach oben ist der quadratische Grundriss gebrochen, das Dach verzogen und vor allem im Inneren die Symmetrie des Netzgewölbes zerstört. Die Wände sind zudem mit unvollendeten Pilastern (an den Wänden liegenden Säulenhälften) gegliedert. Ist es die absichtlich gestörte Perfektion in der Architektur, die darauf verweist, dass die Welt unvollendet und erlösungsbedürftig bleibt? Erst durch das Erlösungswerk Christi kann sie Vollkommenheit erlangen. Blick in die (untere) Adamskapelle, gut sichtbar der Mauerspalt Heilig-Grab-Ensemble Heilig-Grab-Ensemble Vertiefungen im Boden der oberen Kapelle
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