2/2025 37 Weg nach Gaza Weg nach Gaza Anspielung auf die Himmelfahrt Jesu. Diese Sichtweise der sechs Zeilen, bezogen auf Tod Auferstehung und Erhöhung Jesu, eröffnet eine neue Welt voller Hoffnung (womit auch der eschatologische Sinn = Schriftsinn Nr. 4 ins Spiel kommt). Hier der Übersichtlichkeit halber noch eine Synopse der beiden Versionen des Jesaja-Zitats in deutscher Übersetzung: Jes 53,8 nach dem hebräischen Alten Testament in der Einheitsübersetzung Durch Haft und Gericht wurde er dahingerafft, / Doch wen kümmert sein Geschick? / Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten … Jes 53,8 in Apg 8,33 nach dem griechischen Alten Testament in der Einheitsübersetzung In der Erniedrigung wurde seine Verurteilung aufgehoben, / seine Nachkommen, wer wird von ihnen berichten? / Denn sein Leben wurde von der Erde fortgenommen. Die dritte Lesart Sind dies nun genug unterschiedliche Lesarten? Die mittelalterlichen Exegeten kannten, wie wir wissen, vier Sinne der Schrift: wörtlich, allegorisch, moralisch, endzeitlich. Ich möchte daher eine weitere Sinnebene hinzufügen, den moralischen Sinn (= Schriftsinn Nr. 3), den wir besser als existentiell bezeichnen können, da er unsere christologische Einsicht von Lesart zwei nun auf den Äthiopier anwendet und durch ihn auf alle Leser der Erzählung. Obwohl er Finanzminister seiner Königin war, half ihm das nicht besonders viel in einer sozialen Welt, die sich auf die Werte von Ehre und Scham konzentrierte. Als Eunuch war er das Ziel ständigen Spotts, vor seinen Augen oder hinter seinem Rücken. Nachkommen zu haben blieb ihm verwehrt. Schlimmer noch, sogar in Jerusalem, der Stadt seiner Träume, sah er sich vielleicht konfrontiert mit der rigorosen Anweisung aus Deuteronomium 23,2: „In die Versammlung des Herrn darf keiner kommen, dessen Hoden zerquetscht sind oder dessen Glied verstümmelt ist.“ Als Resultat mochte er sich ziemlich verzweifelt und depressiv fühlen, aber Philippus gab ihm zu verstehen, dass er, wenn er an der Demütigung Jesu Christi teilhat, auch an dessen Rehabilitierung partizipieren wird. Vielleicht las Philippus mit ihm mehrere Kolumnen aus der Jesajarolle, bis sie zu der Verheißung in Jes 56,4–5 kamen: „Den Eunuchen, die meine Sabbate halten, die wählen, was mir gefällt, und an meinem Bund festhalten, ihnen gebe ich in meinem Haus (d.h. dem Tempel) Denkmal und Namen. Das ist mehr wert als Söhne und Töchter“ (d.h. das ewige Gedächtnis schlägt die leibliche Nachkommenschaft). Mit anderen Worten: Der Äthiopier machte einen Crash-Kurs in kanonischer Exegese und Faksimile der Jesaja-Rolle vom Toten Meer im Bibelhaus Erlebnismuseum Frankfurt © bibelhaus-frankfurt.de, Foto: Ralf Baumgarten Philippusbrunnen der Tradition nahe der Ortschaft al Walaja
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