6 2/2025 IM LAND DES HERRN „Erbe der Verheißung“ sein. Es wird ein Kind des Protestes sein, freiheitsliebend und kämpferisch. – Aber auch diesem Kind, das aus dem Hause Abrahams heraustritt und eigene Wege einschlägt, folgt Gottes Segen. – In der islamischen Überlieferung gilt Ismael bis heute als Ahnherr der Araber. – Aber betrachten wir den weiteren Lebensweg Ismaels, wie ihn die biblischen Schriftsteller beschrieben haben. Hagars zweite Vertreibung Endlich hatte auch Sara (auf eine spezielle Verheißung Gottes hin, der in Gestalt von drei Wanderern bei Abraham eingekehrt war) einen Sohn zur Welt gebracht, nämlich den kleinen Isaak (über den wir gleich Näheres erfahren werden). Abraham war 100 Jahre alt, als Isaak geboren wurde. Als das Kind entwöhnt wurde, mit etwa drei Jahren, veranstaltete Abraham ein großes Fest. Sara blickte voll Stolz auf ihr wohlgeratenes Kind und dachte natürlich an seine Zukunft. In diesem Augenblick sah sie wie Ismael mit seinem kleinen Bruder scherzte. Und da stiegen Gedanken des Misstrauens in ihr auf. Könnte dieser Ismael, „der Sohn dieser Magd“, nicht durch väterliche Adoption zum Konkurrenten Isaaks werden und eines Tages das väterliche Erbe mit ihm teilen? – Berechnend und schnell entschlossen, wie Sara nun einmal war, versuchte sie die (vermutete) Gefahr durch eine Gewaltlösung zu bannen. Sie verlangte: Abraham möge „diese Magd und ihren Sohn“ (man hört den verächtlichen Ton) verstoßen. Denn (so sagt Sara wörtlich) „der Sohn dieser Magd soll nicht zusammen mit meinem Sohn Isaak Erbe sein“. – Falsch verstandene Mutterliebe kann (das lehrt uns diese Episode) über Leichen gehen. Wie reagiert Abraham? – Ganz anders als in der uns schon bekannten Parallel-Erzählung, wo er sich um des lieben Friedens willen als willfähriges Werkzeug seiner Frau erweist, ist Abraham jetzt „verdrossen“, er will und kann sich nicht einfach von Hagar und ihrem Sohn, der ja sein Erstgeborener ist, trennen. Erst ein Gotteswort, das wohl im Traum an Abraham ergeht, bewegt ihn, seiner selbstsüchtigen Ehefrau zu folgen. Erleichtert wird ihm dieser Schritt durch Gottes Verheißung: „Zwar soll deine Nachkommenschaft nach Isaak benannt werden. Aber den Sohn der Magd will ich zu einem großen Volk machen, denn er ist ja dein Nachkomme!“ – Die Schilderung der Vertreibung Hagars ist ein Meisterstück hebräischer Erzählkunst. Der Leser erfährt, wie Abraham am nächsten Morgen in aller Frühe Brot und einen Schlauch mit Wasser herrichtet, beides an Hagar übergibt und ihr das Kind auf die Schulter legt. Jeder Hinweis auf Gefühle unterbleibt. Aber gerade dieses Schweigen bei Abrahams Hantierungen wirkt auf den Leser besonders bedrückend. Lakonisch heißt es am Schluss: „Dann verstieß er sie. Sie aber ging und irrte in der Wüste von Beerscheba umher.“ Vertreibung Hagars, aus Allioli, Heilige Schrift, Klosterbibliothek St. Anna München © Raynald Wagner
RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=