13 FRANZISKANER 3|2023 Zur Situation der katholischen Kirche Die Lage ist kompliziert Wie können Katholikinnen und Katholiken in einer atheistischen Diktatur ihren Glauben leben? Warum räumt der Vatikan der chinesischen Regierung offiziell ein entscheidendes Mitspracherecht bei Bischofsernennungen ein? Und: Wie existieren eine Untergrundkirche und eine staatlich anerkannte katholische Kirche nebeneinander? Katharina Wenzel-Teuber, Chefredakteurin von »China heute«, vermittelt im nachstehenden Interview tiefere Einblicke in eine für die meisten Christinnen und Christen in Deutschland noch immer sehr fremde Gesellschaft. Frau Wenzel-Teuber, wie viele Katholik:innen und Christ:innen leben derzeit in der VR China? Es gibt etwa zehn bis zwölf Millionen katholische und mindestens 38 Millionen protestantische Christ:innen in der VR China – ohne Hongkong und Macau –, zudem etwa 15.000 orthodoxe Christ:innen. Das sind allerdings nur Schätzungen, genau weiß es niemand. Auf jeden Fall sind die Katholikinnen und Katholiken eine sehr kleine Minderheit von unter einem Prozent der Bevölkerung. Sie sind außerdem die kleinste der fünf offiziell anerkannten Religionen – nach Buddhismus, Daoismus, Protestantismus und Islam. Nimmt man neuere Umfrageergebnisse zur Kenntnis, scheint die VR China ein ziemlich religiöses Land zu sein. Insbesondere wenn die sogennanten Volksreligionen berücksichtigt werden. Wie kann dies nach der jahrzehntelangen antireligiösen Propaganda der chinesischen Kommunistischen Partei (KP) noch immer möglich sein? Der Begriff »Religion« – im Sinn von Religionsgemeinschaften mit heiligen Schriften, Organisation, Mitgliedschaft und Klerus – kam erst im 19. Jahrhundert aus dem Westen über Japan nach China. Die traditionelle chinesische Volksreligiosität ist eher durch mit dem Lebensalltag verwobene Praktiken geprägt. In Umfragen sagen viele Chines:innen zunächst, dass sie nicht religiös seien, doch dann stellt sich heraus, dass sie Ahnenverehrung oder Feng Shui praktizieren. Hinzu kommt, dass die Behörden in den letzten Jahrzehnten den traditionellen Volksglauben wieder mehr zulassen oder fördern, weil er »chinesisch« ist, als Gegengewicht vor allem zum Christentum. Ich denke, religiöser Glaube ist ein menschliches Grundbedürfnis, das die Politik nie völlig ausrotten kann. Manchmal passiert sogar das Gegenteil, und Unterdrückung führt zu einer Zunahme von Gläubigen. Warum wird heute jemand Christ:in/Katholik:in in der VR China? Welche Motive prägen eine solche Entscheidung? Persönliche Vorbilder spielen im chinesischen Kontext eine ganz zentrale Rolle bei der Vermittlung von Glauben. Christliche Lai:innen sprechen in ihrem Umfeld, in der Katharina Wenzel- Teuber ist Sinologin und Mitarbeiterin des China-Zentrums e. V. in Sankt Augustin. Sie ist Chefredakteurin der Quartalsschrift »China heute. Informationen über Religion und Christentum im chinesischen Raum«. Das China-Zentrum wird von katholischen Hilfswerken, Orden und Diözesen getragen. ▶▶www.china- zentrum.de Interview und Bearbeitung: Thomas Meinhardt
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