Franziskaner - Herbst 2023

14 FRANZISKANER 3|2023 Familie, am Arbeitsplatz, durch ihr Lebenszeugnis Menschen an oder laden sie in die Gemeinde ein. In dieser Hinsicht sind Christ:innen in China oft viel »missionarischer« eingestellt als Christ:innen in Deutschland. Ein anderer Punkt sind die vielen Umbrüche und Veränderungen in der Gesellschaft, beispielsweise durch die schnelle Urbanisierung. Christliche Gemeinden können Halt geben, weil sie Gemeinschaft bieten. Es gibt außerdem eine Suche nach Sinn, gerade auch unter jungen Menschen. Die Würde der Person, die sich aus dem Glauben ergibt, dass alle Menschen aus Liebe geschaffene, einzigartige Individuen sind, ist sicher eine der Vorstellungen, die das Christentum für sie attraktiv macht. Wie ist das Verhältnis zwischen der offiziellen, staatlich anerkannten katholischen Kirche und der sogenannten Untergrundkirche heute – zahlenmäßig und inhaltlich? Grob geschätzt dürften die katholischen Gläubigen etwa zur Hälfte dem offiziellen Teil der Kirche, zur Hälfte dem inoffiziellen Teil im »Untergrund« angehören. Wobei die Trennung nicht immer scharf zu ziehen ist. Es gibt fließende Übergänge und Grauzonen, manchmal auch Zusammenarbeit. Der wesentliche formale Unterschied ist die Registrierung der religiösen Stätten und des religiösen Personals beim Staat. Sie ist für alle Religionen gesetzlich vorgeschrieben, um Religion aus staatlicher Sicht legal auszuüben. Um sich als Kleriker registrieren zu können, muss man sich vorher von den staatlich kontrollierten katholischen Leitungsgremien – Patriotische Vereinigung und Kommission für kirchliche Angelegenheiten auf lokaler beziehungsweise der Bischofskonferenz auf nationaler Ebene – offiziell anerkennen lassen. Diese Gremien aber haben das Prinzip der Unabhängigkeit der Kirche – von »ausländischen Kräften« – in ihren Statuten, und sie dienen den Behörden als Werkzeuge für die Kontrolle der Kirche. Das ist der Grund, weshalb sie von Katholik:innen im Untergrund immer abgelehnt wurden und auch bei vielen im offiziellen Teil der Kirche nicht so gut angesehen sind. Ansonsten ist auch die offizielle Kirche in Diözesen und Pfarreien gegliedert. Sie unterscheidet sich in Theologie und Liturgie nicht grundsätzlich von der Kirche im Untergrund. Kurz, es gibt nicht zwei katholische Kirchen in China, sondern es ist eine einzige Kirche, wenn auch eine in sich gespaltene. Zurzeit sind alle Bischöfe in China vom Papst anerkannt. Die offizielle Kirche kann offen theologische Seminare und Wohlfahrtseinrichtungen führen, wenn auch mit immer weniger Handlungsspielräumen. Im Gegenzug muss sie gegenüber Partei und Staat regelmäßig politische Loyalität bezeugen, beispielsweise die Nationalflagge hissen. Sie soll das »Xi-Jinping-Denken zum Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter« nicht nur studieren, sondern auch unter den Gläubigen verbreiten. Die Untergrundgemeinden konnten sich diesem direkten Einwirken der Behörden weitgehend entziehen. Sie wurden lange an vielen Orten toleriert, an anderen unterdrückt. Seit 2018 aber versucht der Staat, alles religiöse Leben außerhalb des registrierten und kontrollierten Rahmens auszuschalten. Untergrundpriester und -bischöfe wurden unter Druck gesetzt, manche zeitweise verschleppt, um sie zu zwingen, Erklärungen zum Prinzip der Unabhängigkeit zu unterschreiben und zur offiziellen Kirche zu wechseln. Soweit wir wissen, ist in einigen ehemals starken Untergrund-Diözesen inzwischen die Mehrheit der Priester, oft unter Zwang, in den offiziellen Teil der Diözese gewechselt. Einige haben aus Enttäuschung und Ratlosigkeit den Priesterdienst verlassen. Die Situation ist für den »Untergrund« existenziell bedrohlich. Was hat den Vatikan bewogen, 2018 ein vorläufiges Abkommen – mittlerweile zweimal jeweils um zwei Jahre verlängert – mit der chinesischen Regierung zu schließen, was Letzterer große Mitbestimmungsmöglichkeiten – beispielsweise bei Bischofsernennungen – offiziell ermöglicht? Wie Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und andere Vatikanvertreter immer wieder gesagt haben, ging es dem Heiligen Stuhl um die Einheit innerhalb der chinesischen Kirche und mit der Weltkirche, konkret um die Gemeinschaft der chinesischen Bischöfe mit dem Papst und untereinander. Chinesische Gläubige sollen »vollständig katholisch und gleichzeitig authentisch chinesisch« sein können, also nicht durch ihr Katholischsein per se im Dauerkonflikt mit dem Staat stehen. Ein anderer Grund war sicher die Sorge, dass der chinesische Staat andernfalls illegitime Bischofsweihen erzwingen könnte, wie es früher schon der Fall war – möglicherweise in großer Zahl. Denn etwa ein Drittel aller Bischofssitze in China sind neu zu besetzen. Man wollte wohl auch einen stabilen Kommunikationskanal zur chinesischen Führung aufbauen, © NORBERT NEETZ – PICTURE-ALLIANCE.COM Gottesdienst in der »Joy Lutheran Church« in Hongkong. Hauskirchen wie diese sind meist protestantisch und haben in China über 25 Millionen Mitglieder. In allen christlichen Gemeinden – nicht nur bei den evangelischen – tragen Frauen ganz wesentlich zum Weiterbestehen bei.

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