15 FRANZISKANER 3|2023 um künftig noch andere Probleme besprechen und lösen zu können. Papst Franziskus ist jemand, der ganz auf Dialog setzt. Das hat er mit Bezug auf China in Interviews immer wieder betont. Wie beurteilen Sie die bisherigen Erfahrungen mit diesem Abkommen? Hat es dazu geführt, das Alltagsleben der Katholik:innen in China zu verbessern? Oder hat es eher zur Verunsicherung insbesondere bei den Katholik:innen der Untergrundkirche und zur Erleichterung der allumfassenden Kontrolle durch die staatlichen Organe beigetragen? Wir wissen nicht genau, was in dem Abkommen steht – der Inhalt wird geheim gehalten. Es funktioniert aber offensichtlich nicht so, wie es vom Heiligen Stuhl erhofft wurde. Das hat zuletzt die Installation von Bischof Shen Bin gezeigt. Bischof Shen war bis dahin päpstlich und staatlich anerkannter Bischof der relativ kleinen Diözese Haimen. Als Vorsitzender der offiziellen, von Rom nicht anerkannten Chinesischen Bischofskonferenz hat er eine zentrale Funktion in den behördlich kontrollierten Leitungsgremien der katholischen Kirche. Am 4. April 2023 wurde er ohne Ernennung des Papstes als Bischof von Schanghai eingesetzt, einer der wichtigsten Diözesen der chinesischen Kirche. Erst am 15. Juli ernannte ihn Papst Franziskus, im Hinblick auf das »größere Wohl der Diözese«, nachträglich zum Bischof von Schanghai. Auch wenn es sich hier um eine Versetzung und nicht um eine Bischofsweihe handelte, zeigt der Vorgang, dass Rom kaum Mittel in der Hand hat, Bischofsernennungen zu verhindern, die es nicht für gut befindet. Der chinesische Staat sitzt hier am »längeren Hebel«, denn er kann unmittelbaren Druck auf die lokale Kirche ausüben. Was Katholik:innen, aber auch Priester und Ordensfrauen an der Basis betrifft, so hat das Abkommen bei vielen dazu geführt, dass nicht mehr so klar ist, welche Prinzipien für die Kirche gelten und wo die roten Linien liegen. Die Verunsicherung ist im Untergrund besonders stark, denn dort fühlt man sich von Rom nicht mehr wie früher für die Treue zum Papst geschätzt. Behörden haben das Abkommen zudem als Druckmittel gegen Untergrundgeistliche benutzt, um sie zur Registrierung zu zwingen. Unter Xi Jinping hat sich die staatliche Religionspolitik sehr verschärft. Deshalb hätten die Behörden auch ohne das Abkommen sicher versucht, die nicht registrierten Teile der Kirche auszuschalten – sie versuchen das auch bei Protestant:innen, Muslim:innen und Buddhist:innen. Aber die Repressionen hätten vermutlich keine so demoralisierende Wirkung entfalten können. Andererseits gibt es chinesische Katholik:innen, die meinen, dass die direkten Kontakte China–Vatikan die chinesische Kirche insgesamt vor noch schwereren Repressionen schützen. KATHATINA EBEL/KNA Katholische Wanderarbeiterin mit ihrem Kind in Peking/Beijing. Im Jahr 2022 gab es in China fast 300 Millionen Wanderarbeiter:innen. Sie gehören zu den Menschen, die unter den schwierigsten sozialen Bedingungen in China leben.
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