Franziskaner - Herbst 2023

17 FRANZISKANER 3|2023 Auf den Spuren Matteo Riccis in China So ist das mit Vorbildern: Sie weisen und verstellen den Weg gleichermaßen. So inspirierend und ermutigend ein Vorbild auch sein mag, so bleibt doch klar, dass die Imitation scheitern muss. Da ist auf der einen Seite das Vorbild des Matteo Ricci, der im 16. und 17. Jahrhundert Großes in der Begegnung von Christentum und China leistete, und da sind auf der anderen Seite die Welt und Zeit von heute, die so anders sind, als sie es damals waren. In dieser Spannung zwischen dem Modell, das Ricci vorlebte, und den Strömungen unserer heutigen Situation, in denen ich mitlebe, frage ich mich: Wie lebe ich heute als Jesuit in China? Repräsentant sein »Wie seht ihr das eigentlich im Westen?« In fast jeder Diskussion mit meinen Mitstudierenden in Peking taucht diese Frage irgendwann auf. Ich repräsentiere den Westen. Wo ich auch hingehe, werde ich als Westler identifiziert, und was ich auch tue oder sage, sagen und tun damit alle Westler. Darin liegt zunächst eine Enttäuschung: Es gibt ja eine Vorstellung von Inkulturation, die meint, »einer von ihnen zu werden«, sei das Ideal. Doch das ist aussichtslos. Ich bleibe der Fremde. Für mich liegt ein geistlicher Umgang mit dieser Enttäuschung darin, das Fremdsein als Rolle zu bejahen und sie aktiv auszuüben, also die Angleichung nicht zu forcieren, sondern das Gegenüber darzustellen. Manchmal kann dies schwierig sein. So nehme ich etwa deutlich wahr, dass meine persönlichen Begegnungen mit der hochkomplexen Beziehung zwischen China und dem Westen aufgeladen und zum Teil regelrecht belastet sind. Doch primär erlebe ich die Repräsentantenrolle als fruchtbar: Zum einen, um zwischen China und Westen zu gegenseitigem Verstehen beizutragen. In allen Begegnungen gibt es eine grundlegende Vorentscheidung, die beide Seiten zunächst für sich treffen müssen: Suche ich eher ein positives Verständnis des Anderen oder möchte ich eher Gründe für seine Verurteilung finden? Ignatius von Loyola, der Gründer der Jesuiten, war der Überzeugung, dass die erste Haltung hartnäckig der zweiten vorzuziehen ist. Doch muss diese Haltung ständig genährt und belebt werden, sonst rutscht man in die zweite. Was die erste Moritz K. SJ

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