22 FRANZISKANER 3|2023 wir das gewinnen? Ich denke, es muss etwas in Russland selbst geschehen. Der Fall der Sowjetunion hat in Moskau begonnen. Ich denke aber, dass die Sowjetunion nicht so zerfallen ist, wie wir uns das vorstellen. Diese Ideologie und der Wunsch nach einem Imperium ist in Russland immer lebendig geblieben. Beim Krieg gegen die Ukraine geht es nicht um Territorium, es geht um Ideologien. Wir in der Ukraine machen seit Jahren alles, um uns von dieser sowjetischen und kommunistischen Vergangenheit zu befreien. Wir haben uns gelöst von dieser nostalgischen sowjetischen Ideologie. Wir hoffen, dass dieses Verständnis auch irgendwann nach Russland kommt, aber wir können nur warten – und beten. Gibt es ein spezielles Gebet in Odessa, das Sie in dieser Zeit in den Gemeinden sprechen? Ja, wir beten täglich zum Erzengel Michael und bitten für die armen Seelen der Verstorbenen. »Heiliger Michael, schütze uns vor den schwarzen Kräften. Beschütze uns als Gottes Volk, schütze unsere Seelen. Verteidige uns gegen das Böse ...« Es ist ein Gebet aus dem Exorzismus. Und ich meine, das ist passend, denn dies ist ein teuflischer Krieg, mit dem durch Lügen Hass und Vernichtung über uns gebracht wurden. Der Teufel ist der Vater der Lügen, und der ganze Krieg ist doch eine einzige Lüge. In Russland ist es verboten, von Krieg zu sprechen. Es sei eine »Spezialoperation«, um den Menschen in der Ukraine Freiheit zu schenken und sie zu retten vor den Nazis! Und Millionen Russen glauben das, weil ihnen seit Jahren diese schreckliche Propaganda eingetrichtert wurde. Viele Menschen in den christlichen Kirchen in Deutschland engagieren sich in der Friedensbewegung. Manche sind seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine in einem Dilemma: Sie verstehen sich als Pazifisten, gleichzeitig erkennen sie die Notwendigkeit, dass sich die Ukraine verteidigen darf und Waffen braucht, und wir ihr beistehen sollten. Ja, Pazifismus ist gut. Über Frieden reden ist sehr gut. Aber bitte, was haben wir? Wie viele Ruinen, wie viele Tote? Und was sollen wir jetzt tun? Singen über Frieden? Ich rate: Kommen Sie in die Ukraine, gehen Sie nach Mariupol oder Bachmut oder nach Butscha bei Kiew, und erzählen Sie den Leuten dort von ihrer pazifistischen Idee! Nein, wir müssen uns verteidigen, und wir brauchen die Hilfe unserer Nachbarn. Wir müssen den Frieden verteidigen, auch mit Waffengewalt. Ich fürchte, Putin versteht keine andere Sprache. Was wäre das für ein Friede, wenn die Ukraine keine militärische Unterstützung mehr bekommen würde? Ganz einfach: Dann verlieren wir alles, dann stirbt die Ukraine. Putin wird das ukrainische Volk vernichten. Wenn die Ukraine sich nicht mehr verteidigen kann und unter die Okkupation Russlands fällt, dann wird es wieder Säuberungen geben wie damals unter Stalin. Es werden viele Menschen verhaftet und hingerichtet werden oder einfach verschwinden. Es wird keine Freiheit mehr geben. Gott bewahre uns! Ich träume aber von einer anderen Zukunft, von einem Leben in Freiheit und Frieden und einem Wiederaufbau mithilfe unserer Partner in Europa. Uns wurde in der Vergangenheit schon viel geholfen, deshalb weiß ich, dass ich darauf vertrauen darf. Seit der Unabhängigkeit der Ukraine von der Sowjetunion helfen uns beispielsweise Renovabis, Kirche in Not und weitere Organisationen, die Kirche hier aufzubauen. Es wurde schon unglaublich viel getan, und bereits heute gibt es Pläne und Projekte, was nach dem Krieg nötig sein wird. Es kommt Frieden – mit Gottes Hilfe! Das römisch-katholische Bistum Odessa-Simferopol liegt im Süden der Ukraine. Odessa ist Sitz des Bistums (links abgebildet die Kathedrale). Das Bistumsgebiet umfasst Odessa, Mykolajiw, Cherson und Kirowohrad, die Krim und den westlichen Teil des Dnipropetrowsk. Das Bistum entstand 2002 durch Abtrennung vom Bistum Kamjanez-Podilskyj. Bischof Stanislaw Schyrokoradjuk OFM kam als zweiter Bischof des Bistums 2020 ins Amt. Die katholische Kirche in der Ukraine zählt etwa 1,1 Millionen katholische Christ:innen (2,8 % der Bevölkerung). Zum Bistum Odessa-Simferopol gehören 18.270 Gläubige (Stand: 2019). Franziskanerinnen und Franziskaner helfen den Notleidenden in der Ukraine. Informationen zur Situation und zu Unterstützungsmöglichkeiten bietet die Website von FRANZISKANER HELFEN: franziskaner-helfen.de/projekte/nothilfe_ukraine/ © YURIY KVACH, CC BY-SA 3.0, WIKIMEDIA.ORG/W/INDEX.PHP?CURID=27683458
RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=