27 FRANZISKANER 3|2023 Fratelli tutti Thomas Abrell OFM Über die weltweite Geschwisterlichkeit Enzyklika unter der Lupe © SENSVECTOR/STOCK.ADOBE.COM In seiner Enzyklika über die »Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft« »entfaltet Papst Franziskus seinen Traum von einer neuen, geschwisterlichen Welt und erhebt damit die Vision einer Menscheitsfamilie zur offiziellen Lehre der Kirche« (Martina Kreidler-Kos). Thomas Abrell beleuchtet in dieser und den folgenden Ausgaben jeweils einen Aspekt dieses zukunftsfähigen Lehrschreibens. »Manchmal betrübt mich die Tatsache, dass die Kirche (…) so lange gebraucht hat, bis sie mit Nachdruck die Sklaverei und verschiedene Formen der Gewalt verurteilte. Durch die Weiterentwicklung von Spiritualität und Theologie haben wir heute keine Entschuldigung mehr. Trotzdem gibt es immer noch jene, die meinen, ihr Glaube würde sie ermutigen oder es ihnen zumindest erlauben, verschiedene Formen von engstirnigen und gewalttätigen Nationalismen zu unterstützen, von fremdenfeindlichen Einstellungen, von Verachtung und sogar Misshandlungen von Menschen, die anders sind. Der Glaube muss zusammen mit der ihm innewohnenden Menschlichkeit ein kritisches Gespür gegenüber diesen Tendenzen lebendig halten und dazu beitragen schnell zu reagieren, wenn sie sich einzunisten beginnen. Daher ist es wichtig, dass die Katechese und die Predigt auf direktere und klarere Weise die soziale Bedeutung der Existenz, die geschwisterliche Dimension der Spiritualität, die Überzeugung der unveräußerlichen Würde jedes Menschen und die Beweggründe, um alle zu lieben und anzunehmen, einbeziehen.« (Enzyklika »Fratelli tutti« 86) Ist Christsein politisch? Darf Glaube politisch sein? Die hoffentlich überholte Praxis der Kirchen, eine Wahlempfehlung zu geben, ist keine Antwort auf diese Frage, denn politisches Handeln beginnt und endet nicht an der Wahlurne. Christlicher Glaube hat mit Beziehung zu Menschen und zur Umwelt zu tun. Damit kann er nicht außerhalb von Gemeinschaft und Gesellschaft gelebt werden und ist somit immer auch politisch. Diese Beziehung ist durch Werte bestimmt, die in Gottes Liebe zu allen Menschen begründet sind. Damit lässt sich mit dem Glauben an Jesus Christus nur der Einsatz für jeden Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, sexueller Identität usw. begründen, aber niemals Abgrenzung und Ausgrenzung oder gar Gewalt, weil mir Menschen durch ihr Aussehen und ihr Verhalten fremd sind. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn Maximilian Krah – AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl 2024 – Papst Franziskus als »absolute Katastrophe bezeichnet« (Die Tagespost) oder evangelikale Gemeinschaften in den USA Passagen aus dem Evangelium löschen wollen. Solches Interesse ist verständlich. Damit sollen bestimmte Denkweisen als christlich ummantelt werden. Die unverlierbare Würde von Menschen wird dadurch infrage gestellt, weil diese nicht in das jeweilige Menschenbild passt. Doch einem Menschen seine Würde abzusprechen, widerspricht immer der Botschaft des Evangeliums. Wer sich auf Jesus Christus beruft, kann deshalb nicht anders, als sich für die Menschen einzusetzen und sich gegen jede Form von Ausgrenzung, auch in Form von Nationalismus zu wenden. Christlicher Glaube ist nicht parteipolitisch, aber er ist politisch, muss immer Partei für die Menschen ergreifen und jeder Form von Ausgrenzung und Gewalt entgegentreten.
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