Franziskaner - Herbst 2023

28 FRANZISKANER 3|2023 Johannes Roth OFM Friedensgebet des Rats der Religionen in München, 2016 Beten Wie das Pilgern ist auch das Gebet kein rein christliches oder islamisches Phänomen, sondern wie auch in anderen Religionen das zentrale Medium der Kommunikation mit Gott. Es kann verbal, aber auch nonverbal erfolgen und richtet sich immer an ein transzendentes Wesen, das im Christentum Gott heißt und im Islam Allah. Das Gebet ist eine besonders intensive Ausdrucksform des Glaubens. Wie jede andere Beziehung lebt auch die Beziehung zu Gott von Begegnung und Gespräch. Gott spricht zu den Menschen, und sie können ihn anreden. Beten besteht nicht nur darin, dass Menschen Gott etwas sagen, sondern zugleich, dass sie hören, was er ihnen sagen will. Gott kennt die Bedürfnisse der Menschen. In der Begegnung mit Gott kann sich der Mensch bewusst werden, wer er oder sie ist. Beten kann auch heißen, vor Gott zu tragen, was uns jeweils bewegt. Dies geschieht in eigenen Worten oder formulierten Gebeten. In der Bibel gehört das Beten selbstverständlich zum Leben der Menschen. Allerdings hat es ursprünglich kein eigenes Wort dafür gegeben. Es kann Rufen, Jubeln, Klagen, Bitten, Danken oder Flehen sein, je nach der Situation, in der sich ein Mensch befindet. Im Alten Testament wird es häufig umschrieben mit »den Namen des Herrn anrufen«. Dort findet sich mit dem Buch der Psalmen eine umfangreiche Gebets- und Liedersammlung, die sowohl im Judentum als auch im Christentum eine große Rolle spielt. Das bekannteste Gebet im Christentum ist das Vaterunser, mit dem Jesus seine Jünger beten lehrt. Beten kann spontan aus der Situation heraus geschehen, trotzdem legen sich besondere Tageszeiten nahe, wie morgens, mittags und abends. Im Buch der Psalmen wird sogar eine Anzahl von Gebeten genannt: »Siebenmal am Tag singe ich dein Lob wegen der Entscheide deiner Gerechtigkeit« (Ps 119,164). Daran orientiert sich auch das christliche Stundengebet, das aus Lesehore, Laudes, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet besteht. In der Vollform wird es vor allem von benediktinischen Gemeinschaften gebetet. Im Islam gibt es zwei Gebetsformen: das Dank- und Bittgebet (Du'a) und das Ritualgebet (Salāt). Beim Dank- und Bittgebet wird Gott um Hilfe gebeten, oder es wird ihm für seine Unterstützung gedankt. Es kann zu jeder Tages- und Nachtzeit gesprochen werden. Das Ritualgebet bildet im Islam die zweite Säule. Jede Säule ist eine grundsätzliche Pflicht, die alle Musliminnen und MusIn dieser Ausgabe setzen wir die Reihe »Christlich – Islamisch« fort. Wir werfen wieder einen Blick auf einen Aspekt, der das Christentum und den Islam miteinander verbindet. Dieses Mal geht es um das Thema »Beten«. Im Christentum wie im Islam nehmen die Gläubigen im Gebet Kontakt zu Gott bzw. Allah auf und kommunizieren auf diese Weise mit ihm. © PICTURE ALLIANCE/SZ PHOTO

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