39 FRANZISKANER 3|2023 smodelle sind möglich abzuhelfen, wurden diese Mitglieder der franziskanischen Familie aktiv. Animiert durch Schriften zur Ökonomie der franziskanischen Philosophen und Theologen, wie Alexander von Hales, Bonaventura und vor allem Petrus Johannis Olivi, von dem erste ausführliche Abhandlungen zur Ethik der Marktwirtschaft stammen, begannen sie, lokale Genossenschaften und Kreditinstitute auf »Non-Profit«-Basis zu gründen. Diesen Institutionen gaben sie den Namen »Monte di Pietà«, wörtlich übersetzt »Berg der Frömmigkeit« bzw. »Berg der Barmherzigkeit«. Der Name ist treffend. In der Finanzsprache des Mittelalters hat der Begriff »Monte« (Berg) die Bedeutung von »eine Summe Geld«. Gleichzeitig ist er eine Anspielung auf die biblische Bedeutung des Berges als Ort der Gottesbegegnung. Der Begriff »Pietas« bedeutet im mittelalterlichen Latein zunächst »Frömmigkeit«. In den Auslegungen der franziskanischen Schriften ist Frömmigkeit aber nicht nur eine Haltung des gläubigen Menschen vor Gott, vielmehr gebietet sie, dem anderen wohlwollend zu begegnen. Die Grundlage der Frömmigkeit ist das Bild Gottes im anderen. Sie befähigt die Menschen, sich daran zu erinnern, dass sie Brüder und Schwestern sind. Das Beispiel für diese geschwisterliche Frömmigkeit ist der heilige Franziskus. Er wurde in seiner Frömmigkeit so ergriffen, dass er den Aussätzigen, wie er selbst in seinem Testament schreiben ließ, in Barmherzigkeit begegnen konnte. Frömmigkeit und Barmherzigkeit werden so in der franziskanischen Leseweise zum Synonym. Konsequenterweise bedeutete es nun, den in wirtschaftliche Not Geratenen mit Frömmigkeit bzw. Barmherzigkeit zu begegnen, indem ihnen ganz konkret mit solidarischen Krediten geholfen wird. Da die wirtschaftliche Not kein Einzelfall war und sie sowohl strukturelle Ursachen im Ausufern des kapitalistischen Systems als auch im Zinswucher hatte, war mit Almosen allein keine Abhilfe zu schaffen. Daher sollte zum damaligen kapitalistisch ausufernden Kreditwesen eine Alternative geschaffen werden. So wurde 1462 in Perugia der erste »Monte di Pietà« gegründet. Dem folgten innerhalb der nächsten fünf Jahrzehnte Institute in 17 weiteren italienischen Städten. Diese von den Franziskanern gegründeten und von den Mitgliedern des 3. Ordens betriebenen Kooperativen und sozialen Kreditinstitute orientierten sich an den in der Franziskanerschule formulierten Prinzipien des Marktes. Das Marktgeschehen wurde als ein System von Beziehungen Johannes-Baptist Freyer OFM definiert, das auf gegenseitigem Vertrauen und Glaubwürdigkeit beruht. Als Beziehungsgeflecht sollte der Markt ein Treffpunkt der Wirtschaft sein, der auf einer soliden Gegenseitigkeit beruhend einen angemessenen Profit ermöglicht, der das Wohlergehen der einzelnen Beteiligten als auch der Allgemeinheit fördert. Dazu wurde ein Konzept der wirtschaftlichen und moralischen Produktivität gefördert, dass die ständige Zirkulation des Reichtums in gerechter Weise ermöglicht. Das durch Gewinne kapitalisierte Geld wurde als ein öffentlicher Schatz betrachtet, welchen die wohlhabenden Bürger investieren, um Armut zu begrenzen oder sogar zu beseitigen. Die Regel der fließenden Zirkulation des Reichtums zur Förderung des Allgemeinwohls wurde als eine spirituelle Dimension des Marktes gedeutet. Das mag für heutige kapitalistische Ohren befremlich wirken, dass dem Geld, wenn es dem Allgemeinwohl dient, eine spirituelle Dimension zuerkannt wurde. Die Gründung der »Monti di Pietà« sollte der Verwirklichung dieser Vorstellung des Marktes dienen, und die Motivation dazu wurde anschaulich definiert. 1. Ein Teil des Geldes, das Eigentum einzelner Personen war, sollte für den öffentlichen Gebrauch zur Verfügung stehen. So wird der Reichtum Einzelner für den sozialen Gebrauch umgewandelt und das Geld für den kollektiven Gebrauch auf dem Markt zur Verfügung gestellt, um durch Arbeit schaffende Maßnahmen die Vergrößerung des Marktes zu fördern. 2. Den Menschen, die keinen Zugang zu herkömmlichen Krediten hatten, sollte ein günstiger Kredit angeboten werden, um aus einer wirtschaftlichen Notlage herauszukommen. 3. Personen, die arm waren, aber es durch Ausbildungsmaßnahmen und Hilfen zur Existenzgründung schaffen konnten, sollte ein Zugang zum Markt ermöglicht werden. 4. Die allgemeine wirtschaftliche Situation sollte zugunsten eines allgemeinen Nutzens verbessert werden.
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