Franziskaner - Herbst 2023

46 FRANZISKANER 3|2023 Das Phänomen der Politikverdrossenheit ist nicht neu. Aktuell erleben wir aber so etwas wie eine Demokratieverdrossenheit, die sich vor allem in zwei Aspekten zeigt: als eine Politiker- und Parteienverdrossenheit als Folge einer Unzufriedenheit mit der derzeitigen Politik insbesondere der Regierungsparteien sowie eine Politik- oder Staatsverdrossenheit als Folge einer generellen Unzufriedenheit mit dem politischen System und den demokratischen Institutionen. Mitte August sprachen sich fast zwei Drittel der Befragten für einen Regierungswechsel aus, und 70 Prozent waren mit der Arbeit des Bundeskanzlers unzufrieden. Aus dem Deutschland-Monitor des Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, von 2022 geht hervor, dass im Westen nur noch 59 Prozent mit der parlamentarischen Demokratie zufrieden waren, im Osten sogar nur 39 Prozent. Im Sommer 2023 bestätigte eine Umfrage der Körber-Stiftung, dass mehr als die Hälfte der Deutschen geringes Vertrauen in die repräsentative Demokratie und ihre Institutionen haben. Im Herbst 2021 waren es nur ein Drittel. Der Wert des Vertrauens in Parteien erreichte mit nur neun Prozent einen Tiefpunkt. 2020 waren es noch 29 Prozent. Die Gründe sind vielfältig: Politikerinnen und Politiker werden als zu selbstbezogen wahrgenommen und zu uninteressiert an den wirklichen Problemen der Menschen. Für viele verschlechtert sich ihre wirtschaftliche Lage, während Milliarden für militärische Belange ausgegeben werden. Die politischen Probleme werden als zu komplex empfunden, sodass die Sehnsucht nach vermeintlich »einfachen« Lösungen und starken Persönlichkeiten steigt. Den Medien wird eine einseitige Berichterstattung vorgeworfen, um nur einige Aspekte zu nennen. Eine gelingende Demokratiepolitik sollte im Sinne des Gemeinwohls für eine gerechte Verteilungspolitik sorgen, für einen fairen Interessenausgleich, die Organisation von gesellschaftlichem Zusammenhalt und neue Wege der Beteiligung. Ansonsten droht ein weiterer Rechtsruck. Der Parteitag der »Alternative für Deutschland« (AfD) zur Europawahl hat einmal mehr das Demokratieverständnis der AfD gezeigt. Sie wird mittlerweile vom Bundesamt für Verfassungsschutz als »rechtsextremistischer Verdachtsfall« eingestuft, da sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährde. Mit ihrem populistischen Anspruch, den »wahren« Volkswillen zu vertreten, verbreitet sie Hass und Hetze gegen Flüchtlinge und stellt das Grundrecht auf Asyl infrage; polemisiert sie gegen Menschen islamischen Glaubens und verstößt mit ihrer religiösen Intoleranz gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit; mit der Behauptung, der Klimawandel sei nicht menschengemacht, gefährdet sie die Zukunft; mit ihrer nationalistischen Politik plädiert sie für die Abschaffung der Europäischen Union. Wer meint, mit der Wahl einer rechtsextremen Partei den etablierten Parteien doch »nur« einen Denkzettel verpassen zu wollen, sollte sich bewusst machen, dass sie/er zur Gefährdung unserer Demokratie beiträgt. Insbesondere dann, wenn sie/er zu den über 90 Prozent der deutschen Bevölkerung gehört, für die laut der Umfrage der Körber-Stiftung demokratische Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit, Meinungsfreiheit und faire Wahlen von hoher Bedeutung sind. Diese Grundwerte erhalten sich nicht von selbst. Der Demokratieindex von 2022 hat gezeigt, dass es weltweit nur noch 67 Staaten mit demokratischer Ordnung gibt, die Zahl der Autokratien aber auf 70 gestiegen ist. Nur mehr 45 Prozent der Weltbevölkerung leben in einem demokratischen Staat, 37 Prozent hingegen in einer Diktatur. Wer auch in Zukunft die Vorzüge einer Demokratie genießen möchte, sollte die aktuellen Entwicklungen wachsam verfolgen und bei aller berechtigten Kritik an den politischen Akteurinnen und Akteuren durch eigenes Handeln zur Stärkung unserer demokratischen Grundordnung beitragen. Ansonsten droht ein böses Erwachen! Demokratieverdrossenheit Stefan Federbusch OFM © STEFAN FEDERBUSCH OFM

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