10 FRANZISKANER 4|2023 KRIPPENSPIEL © PICTURE ALLIANCE / EPD-BILD Inszenierungen, zeichenhafte Ausdrücke und Augenblicke in der Geschichte einer Glaubensgemeinschaft oder eines Volkes haben Wirkung über Jahrhunderte hinweg: die Fußwaschung Jesu, das Hissen einer fremden Fahne auf einem eroberten Gebäude, der Kniefall Willi Brandts in Warschau, das Aufreißen der Mauer in Berlin, die Zerstörung des World Trade Center in New York. Es gibt unendlich viele von guten und – leider auch – bösen Inszenierungen. Sie fesseln die Aufmerksamkeit. Sie regen die Vorstellungskraft an. Sie haben oft mehr Wirkung als viele Worte. Aus geschenktem Einfallsreichtum, aus gegebener schöpferischer Fantasie war der heilige Franziskus ein Meister von Inszenierungen. Er hat sie nicht wie ein Projekt geplant. Er hat sie aus Ergriffenheit von der Botschaft des Evangeliums vollzogen. Jetzt im Blick auf Weihnachten kommt eine der nachhaltigsten Inszenierungen in die Erinnerung: die Weihnachtsfeier in Greccio. Die ausschmückende Legende hat das entstehen lassen, was wir heute als Krippe kennen: Maria und Josef, und vor allem das Kind, dazu Ochs und Esel und die Hirten. Historisch stand nach Thomas von Celano für Franziskus am Anfang nur eine Krippe mit Stroh und dabei Ochs und Esel. Aber diese totale Reduktion genügte Franziskus, darin die Demut Gottes zu spüren, in der »Leere« die »Fülle« des Weihnachtsgeheimnisses zu erleben, in der Abwesenheit die Gegenwart des menschgewordenen Gottes im Kind zu sehen. Als Franziskus dann das Weihnachtsevangelium singend verkündet und auslegt, ist er mit allen Sinnen und seinem ganzen Körperempfinden im Wort des Evangeliums präsent. »Zu Ehren kommt da die Einfalt, die Armut wird erhöht, die Franz Richardt OFM Suchphase machte. Es handelt sich um die Begegnung mit dem sogenannten Kreuz von San Damiano, einer Ikone in Kreuzform, die in einer kleinen, halb verfallenen Kirche unterhalb Assisis hing. Vor diesem Kreuz ist sich Franziskus in meinen Augen einer wesentlichen Dimension der Menschwerdung bewusst geworden: Einem Gott, der Mensch wird und unser Leben in allen seinen Aspekten teilt, ist auch nichts unserer Existenz fremd. Er kennt Sorgen und Nöte, Freuden und Glück aus eigener Erfahrung. Einem solchen Gott kann ich viel eher vertrauen als einem, der abgeschieden in seinen himmlischen Gefilden lebt und sich hin und wieder zum Menschen herunterbeugt. In den Augen des Franziskus zeigt sich Gott damit als der Gute, der unverbrüchlich Zugewandte. Und er erlaubt so dem Menschen seinerseits, sich ihm vorbehaltlos anzuvertrauen. Diese beiden Ebenen der Messfeier und der Menschwerdung auch visuell erfahrbar zu machen und noch enger zu verknüpfen, scheint auch die Motivation hinter der Feier von Greccio gewesen zu sein. Das Erlösungsgeschehen findet für Franziskus nicht isoliert an Ostern statt, sondern beginnt mit der Menschwerdung und endet mit der Himmelfahrt. Weihnachten und Ostern gehören zusammen. So ist es kein Wunder, dass die franziskanischen Theologen diesen Grundgedanken aufgenommen haben und auf die Frage »Warum wurde Gott Mensch?«, die im 13. und 14. Jahrhundert kontrovers diskutiert wurde, mit dem schlichten Satz geantwortet haben: weil er den Menschen nahe sein wollte. Um nochmals auf die Herdmanns zurückzukommen…. Es wird erzählt, durch ihre im wahrsten Worte neue Sicht auf die Ereignisse der Heiligen Nacht hätten sie den Menschen der Gemeinde ermöglicht, das Wunder von Weihnachten wieder tiefer wahrzunehmen – genauso wie es Franziskus damals mit seiner Feier vor 800 Jahren getan hat.
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